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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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verschneiten Garten. Das ganze schwere Hausdach ist von dem verfluchten Sturm aus der Veranke rung gerissen und über die noch einen Meter höhere Kastanie hinweggetragen worden. Ich weiß nicht, wie wir diesen Schaden je beheben können, schluchzt er und legt den Kopf auf eine Schulter seiner Frau. Wenn der Sturm jetzt auch noch Regen bringt, dann sickert Regenwasser ungehindert durch den Speicherboden durch, hinunter bis zum zweiten Stock und von da aus weiter in den ersten und dann bis ganz hinunter ins Parterre. Dagegen sind wir nicht versichert. Besser wär’s, ein Feuer wäre ausgebrochen, wie damals vor dem Krieg, und hätte alles ausgelöscht. Dann nämlich wären wir versichert. So aber weiß ich nicht, was kommt! Fest klammert er sich an die Frau und ist doch ganz woanders.
    Die Frau spürt, wie der Mann entgleist und ihr entgleitet. Er ist buchstäblich aus dem Häuschen. Er sieht sich selbst und alles, was um ihn herum und was ihm lieb ist, nahe am Ruin, und ihm fällt kein Mittel ein dagegen. Seine Gefühle und natürlichen Reflexe bestehen nicht im Aufbegehren und im Widerstand gegen den Angriff der Natur, sondern in einer Ergebenheit ihr gegenüber, einer Dreingabe in das Schicksal, in einer fatalistischen Hingabe an die Verzweiflung.
    Das irritiert die Frau. Sie kann das jetzt nicht brauchen. Bei ihr werden andere Reflexe wach. Sie spürt die Angst der Kinder, deren Erwartungen an ihre Eltern nach Geborgenheit und Schutz. Sie spürt das Vertrauen der Kinder in sie als Mutter, das nicht missbraucht werden darf. Sie spürt, wie der aufgelöste Mann, der sich in seiner Ängstlichkeit von einem Unglück in die Enge getrieben sieht und nicht mehr herausfinden will, zur Gefahr wird für das Vertrauensverhältnis von Mutter und Kind, das er durch Hilflosigkeit bedroht. Sie stößt den weinerlichen Menschen weg von sich und schreit ihn an – und erkennt sich beinah selbst nicht mehr: Was ist denn los mit dir? Ist das eine Art? Du kannst dich doch nicht einfach gehenlassen! Es geht nicht um das Haus und nicht um dich. Jetzt geht es um die Kinder. Die müssen dich erkennen können. Und du versteckst dich in dir selbst! Dann schlägt sie mit der Hand auf seine Brust, schlägt immer wieder zu damit und ballt die Faust und schreit: Wach auf! Wach auf, Mann! Reiß dich zusammen! Reiß dich raus aus deinem feigen Leid, deinem Selbstmitleid! Ich kann dich sonst nicht mehr ertragen. Versteh das endlich, Mann! Ich kann dich sonst nicht mehr ertragen!
    Jetzt sieht der Mann sich auch noch von der Frau verlassen. Um ihn herum, so meint er, ist nur noch Unrecht und Verrat. Nicht nur die Natur, auch die Menschen werden ihn jetzt hassen – und meint damit alleine seine Frau. Seit sieben Jahren ist sie da, jetzt wendet sie sich ab. Soll das nur ein Zufall sein? Ihm war noch nie sehr wohl dabei, dieses große Haus samt Frau und Kinder zu versorgen, das ist nicht seine Art. Er hat von Anfang an gespürt, dass ihn das überfordert. Sein Ziel lag immer ganz woanders. Meine Wünsche haben mich geprägt, nicht meine Herkunft, denkt er, man kann sich nicht verstellen und so tun, als ob man etwas könnte, was man gar nicht will, selbst wenn man es bekommen hat. Ich bin für diesen Auftrag nicht geeignet. Verfluchtes Erbe, schreit er, verfluchter Zwang, ich will der Knecht nicht sein von diesem alten Krempel, den ihr verfluchten Ahnen hier gebündelt habt, mehr als Hunderte von Jahren lang. Ich hasse dieses Haus und diesen ganzen Heimatkram. Ich will heraus, heraus aus allem, was ich muss. Ich will nur das noch machen, was ich kann.
    Er reißt die Türe auf und rumpelt auf den schwarzen Gang hinaus. An der Wand lang schiebt er sich zum Treppenabsatz vor. Die Stiege poltert er hinunter und flüchtet in die aufgewühlte Nacht. Durch Trümmer läuft er hinunter bis zum See und reckt die Faust zum Haus und in den Himmel. Wieder spürt er diesen Sturm als sein vertrautes Element, als könnte er mit ihm zusammenwachsen. Wenn man feste steht im Sturm, fühlt man sich auch groß darin, hat das Fräulein doch gesagt, mit diesem fremden Klang in ihrer Stimme. Wenn man feste steht im Sturm – er steht jetzt mittendrin. Er rennt den langen Steg hinaus auf schwarzbewegten Grund, stellt sich mit breitem Schritt hinein ins Toben auf dem Steg und unter seinen Füßen, sieht wie die Riesenwellen brechen und zerstäuben am Gebälk, eiskalte Gischt schießt hoch und hüllt ihn in gefroren kalten Nebel. Hass steigt auf in ihm, Wut macht sich breit,

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