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Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Titel: Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margarita Kinstner
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lacht sie schon wieder, drückt sich an ihn und küsst seinen Hals. Wie leicht es ist, sie zum Lachen zu bringen!
    Jakob fischt nach seinem Handy und wählt. Hört es dreimal tüten, dann Maries Stimme. Sie klingt ein wenig verschlafen. Ob er sie aufgeweckt hat?
    »Heute werde ich dir das beste Tiramisu der Welt zaubern«, flüstert er ihr ins Ohr, begeistert von seiner eigenen Idee. »Könntest du inzwischen schon mal Mascarpone kaufen? Und Biskotten!«
    Marie lacht ins Telefon. »Du kochst für mich und hast die Zutaten nicht besorgt?«
    Wie süß sie doch ist, denkt Jakob.
    Aber was hat es mit Maries süßem Lachen tatsächlich auf sich?
    Gerade ist sie gemütlich am Sofa gelegen, hat endlich alles fertig gehabt, die Stundenvorbereitungen und Korrekturen, und jetzt soll sie wieder hinaus, nur damit Jakob Tiramisu zubereiten kann. Marie ärgert sich über Jakobs Arbeitszeiten, die er sich selbst einteilt. Er hätte ja fünf Minuten Pause machen können, was ist das für eine Überraschung, wenn sie alles selbst besorgen muss?
    Im Diskontladen kämpft sie sich durch die abendliche Masse. Schweiß hängt über dem Gemüseregal, Schweiß vor dem Milchkühlschrank, Schweiß an der Kasse. Das Förderband läuft ohne Pause, mit flinken Händen ziehen die Kassiererinnen die Billigware über die piepende Plexiglasscheibe. Beinahe fällt Marie der Becher Mascarpone auf den Boden. Ein etwa Vierzigjähriger ist schneller, rasch greift er danach. Sieht ein bisschen aus wie Richard Gere, denkt Marie, aber vielleicht ist das auch nur Wunschdenken. Sie bedankt sich und verlässt die Einkaufshölle. Draußen ist es noch immer warm, viel zu warm für Ende Oktober. Es wäre besser, wenn es ein wenig kälter wäre, dann würde Wien endlich seinen Schweißgeruch verlieren.
    Es wird nicht zum Tiramisuessen kommen.
    Gerade, als Jakob die Biskotten in den Kaffee tunkt und nichts ahnend vor sich hin pfeift, Bilder im Kopf (von Maries Finger in seiner Mundhöhle und Maries Zunge in seinem Bauchnabel), läutet ihr Handy. Vier Minuten später steht sie in der Tür, sieht auf seine klebrigen Finger, kreidebleich im Gesicht. »Ich muss sofort zum Bahnhof«, sagt sie. »Glaubst du, es fährt noch ein Zug nach Graz?«

Teil 2
    Interferenz

1  Die Freude wollte er ins Haus holen, darum nannte er sie Laetitia. Wenn schon ihre Mutter nichts Fröhliches, nichts Ausgelassenes mehr besaß. Ganz und gar verdorrt war sie, die Gier nach dem Leben auf einen halben Quadratmillimeter zusammengeschrumpft, und sogar der saß ganz weit hinten im Gehirn. Vielleicht hätte er sie damals nicht mit ihm fahren lassen sollen, vielleicht fehlten ihr der Lärm und der Dreck, aus dem er sie herausgerissen hatte, und so wurde auch sie leise, sauber und stumm, wie eine frisch renovierte Altbauwohnung mit schalldichten Fenstern und einer zwanzig Zentimeter dicken Styropordecke.
    In Palermo hatte er sie kennengelernt. Sofia mit den rabenschwarzen Füßen und dem ausgewaschenen Blumenkleidchen, gerade einmal siebzehn Jahre alt, und er damals schon ein im Leben festgefahrener Professor für Geschichte und Latein. Eines Sommertages war sie ihm in den Weg gesprungen und hatte ihr Lachen über seine Zehen springen lassen. Dass sie ihm Palermo zeigen wolle, sagte sie, und schon zerrte sie ihn am Arm. Er wollte ihr Geld geben, doch sie lachte ihn nur aus, führte ihn stattdessen durch die verwinkelten Gassen und sagte: »Steck deinen Fotoapparat weg, Palermo muss man zwischen den Zehen spüren!« Dabei zeigte sie auf ihre schwarzen Fußsohlen und zwang Hugo, Schuhe und Socken von den Füßen zu streifen. Sie erinnerte ihn an ein Kind. Dennoch tat er, wie sie ihn hieß, und ließ sich von ihr zum Meer führen, wo er sich einen Glassplitter eintrat und auf ihre Schulter gestützt weiterhumpeln musste. Tags darauf fuhr er mit dem Taxi ins Krankenhaus, denn die Wunde hatte sich entzündet. Der Arzt meinte, dass es keine gute Idee sei, barfuß durch die Stadt zu laufen, und verschrieb Hugo rosafarbene Tabletten sowie eine übel riechende Salbe. Am Abend saß Hugo schon wieder mit Sofia am Hafen.
    Als die Entzündung abgeklungen war, fuhren sie an den Strand von Campofelice. Sofia tauchte unter Hugos Beinen durch, schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn. Am Ende seines Urlaubs kam sie mit ihm. Die Mutter, Grazia Anna, stand weinend am Bahnhof und flehte, Sofia möge es sich noch einmal überlegen, doch Sofia war nicht umzustimmen. Wenn ein siebzehnjähriges Mädchen bis über

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