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Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Titel: Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margarita Kinstner
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zieht an seiner Zigarette und lehnt sich zurück. Sonjas Augen erinnern tatsächlich an die einer weidenden Kuh, große, mokkafarbene Augen mit langen Wimpern. Er sieht ihr dabei zu, wie sie eine nicht vorhandene Haarsträhne aus dem Gesicht streicht und die Lederjacke auszieht. Zwei Schalen halten ihre Brüste unter der Bluse, quetschen das Fleisch zusammen, wie bei einem Fleischwolf ohne Ausgang, da sammelt sich alles an, quillt über. Gery bläst Rauch aus, Frühnebel im Hochgebirge, da schaut sogar der Stockerlarsch an der Bar, spitzt herüber, Schaum steht ihm im Gesicht und tropft aufs Hemd. Gery erkennt in ihm den Wohnungsnachbarn mit der thailändischen Freundin, die sich immer in den höchsten Tönen entlädt, wie eine Piccoloflöte im atemlosen Staccato, ganze zwei Minuten lang. Dann ist der Zauber vorbei, und die beiden wenden sich wieder wichtigeren Dingen zu, denn Herbert Sichozky aka Burning Herbie will den nächsten Talentwettbewerb im österreichischen Privatfernsehsender gewinnen.
Oh-oh-oh
, dringt es dann durch die porösen Ziegelwände,
oh-oh-oh, so in love
. Gery nickt dem Beschaumten zu, hebt sein Glas, auf den Talentwettbewerb, auf die kleine quietschende Thailänderin, auf die Liebe und das Heute. Als er sich wieder umdreht, sieht er auf eine gerümpfte Nase.
    »Wer ist denn das?«
    Gery weiß, was sie jetzt denkt. Da muss man sich gleich abgrenzen, sonst geht sie womöglich schnurstracks zur U-Bahn, und das wäre es dann gewesen mit Filmschauen und Blauschimmelkäse. Also dämpft er die Zigarette aus und schlägt einen Lokalwechsel vor. Mit der Zeit wird sie schon noch mitbekommen, dass das Leben auch abseits der Glitzerwelten etwas zu bieten hat. Er wird sie aus ihrer Schale holen, sie befreien, und sich mit dazu, gemeinsam dem Abgrund der Lust entgegen. Vielleicht kann er damit auch endlich Joe und Marie aus seinem Kopf vertreiben.
    Herbert Sichozky bleibt am Tresen zurück und sieht den beiden nach. Diese Rothaarige, denkt er, habe ich schon in meinem Lokal gesehen. Herbert kennt Frauen wie sie. Gleich Lassos werfen sie ihre Wimpern über Männerköpfe und glauben, sie könnten sich einen aussuchen, dabei sind sie es, die ausgesucht werden. Wie reife Marillen werden sie eine nach der anderen in die Hand genommen, abgewogen und wieder zurückgelegt. Und dieser Gery, der ist auch so ein Marillenbetatscher, denkt Herbert. Da ist ihm seine Mimi lieber, auch wenn ihn alle auslachen. Thailand, sagen sie und sehen ihn mitleidig an. Wer nach Thailand fährt, gibt zu, verloren zu haben. Dass es Liebe ist, glaubt ihm ohnehin keiner, aber das macht ihm nichts aus, Hauptsache, er selbst glaubt an die Liebe seiner Mimi, und was bedarf es mehr als des Glaubens, selig, der glaubt, glücklich, der nicht zweifelt an der Hingabe des anderen. Ob Mimi nun aus Liebe da ist oder aus einem anderen Grund, wer kann das schon beurteilen, das könnte uns nur Mimi selbst verraten, aber darüber spricht sie nicht, wie sie auch sonst sehr zurückhaltend ist. Und das ist auch gut so, denn das würde nun wirklich den Rahmen sprengen, wenn jetzt auch noch Mimi zu Wort käme.

8  Marie schaltet die Nespressomaschine ein, öffnet eine neue Plastikverpackung und nimmt eine lilafarbene Kaffeekapsel heraus. Ihre Fußsohlen sind kalt. Sie stellt den linken Fuß auf den rechten und legt die Kapsel in die Kaffeemaschine. Die Katze streicht ihr um die Füße und stellt sich dann zur Futterschüssel.
    »Schau mal, die Staubtuchfrau!«, ruft Jakob aus dem Wohnzimmer.
    Marie sieht zu ihm hinüber, sieht, wie er über der bunten Zeitung sitzt, das Schinkenbrot in der Hand, sieht, wie er sich die fettigen Finger ableckt und dann umblättert, den Blick aus dem Fenster gerichtet, dort hinüber, wo die Staubtuchfrau wohnt, von der sie ihm so oft erzählt hat. Sie sieht ebenfalls aus dem Fenster, auf die gegenüberliegende Häuserfront, zu der Frau, die immer alles aus dem Fenster beutelt, nicht nur die Staubtücher, sondern auch die Wäsche, Herrenhemden, Socken und Unterhosen.
    »Was ist das?«, fragt Jakob. »Eine Strumpfhose?«
    Eine Weile schauen sie der Frau zu, Jakob mit dem Schinkenbrot in der Hand, Marie vor der Nespressomaschine. Die zwei Uhren wechseln einander ab, das Ticken aus der Küche und das Ticken im Wohnzimmer vermengen sich zu einem Tock-Tick, Tock-Tick. Dazwischen das Knacken des Trockenfutters zwischen den Zähnen der Katze. Dann wird das Fenster gegenüber geschlossen.
    »Glaubst du, sie kommt wieder?«, fragt

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