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Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Titel: Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margarita Kinstner
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Jakob
    »Bestimmt.«
    Marie drückt auf den Knopf. Das Surren der Kaffeemaschine überlagert das Ticken und Knacken. Sie nimmt die Tasse, rührt Milch und Zucker in ihren Kaffee und setzt sich wieder zu Jakob.
    »Ich versteh nicht, wie du diesen Schund lesen kannst«, sagt sie, den Blick auf die kleinformatige Zeitung geheftet.
    »Wieso? Das ist lustig.«
    Er blättert weiter, leckt sich dabei den Zeigefinger ab, immer wieder Lecken und Umblättern. Er erinnert Marie an die Großmutter, die hat auch immer den Finger abgeleckt, aber im Gegensatz zum Fingerablecken der Großmutter, das sie nie gestört hat, ekelt sie sich vor Jakobs Fingerablecken, vor dem Fett auf seinen Fingerkuppen und der feuchten Stelle, die ein Finger auf dem Zeitungspapier hinterlässt.
    »Schau, jetzt beutelt sie das nächste Stück aus«, sagt sie, obwohl sie keine Lust hat, über die Staubtuchfrau zu reden.
    Jakob hebt den Kopf.
    »Ist das ein T-Shirt?«
    Marie bläst in ihre Kaffeetasse.
    »Wieso schüttelt sie ständig alles aus dem Fenster?«
    »Ich glaube, sie hängt die Wäsche auf.«
    Marie greift nach der anderen Zeitung, der zweiten, etwas größeren, die Jakob jeden Sonntag aus den aufgestellten Plastiktaschen zieht, nimmt einen Schluck Kaffee und sagt: »Meine Großmutter hat die Wäsche auch immer ausgeschüttelt, bevor sie sie aufgehängt hat.«
    »Aus dem Fenster?«, fragt Jakob und sieht von seiner Zeitung hoch.
    »Doch nicht aus dem Fenster. Aber am Schluss sind immer eine Menge Haare und Fusseln auf dem Parkettboden gelegen. Vielleicht will die Frau das nicht.«
    »Trotzdem hat sie einen Tick. Meine Mutter putzt auch den ganzen Tag. Aber sie hat noch nie jedes einzelne Wäschestück aus dem Fenster gebeutelt. Und wenn sie es tut, dann würde sie das Fenster offen lassen, es nicht nach jedem Teil schließen und beim nächsten Teil wieder öffnen … Sag mal, musst du eigentlich schon wieder im Wohnzimmer rauchen?«
    Marie, die sich während Jakobs Rede eine Zigarette angezündet hat, nimmt diese in die andere Hand und hält sie unter die Tischkante. »Deine Mutter schüttelt die Wäsche beim Fenster raus?«, fragt sie.
    »Was?«
    »Na, du hast doch gerade gesagt, dass sie das Fenster dabei offen lässt.«
    »Sie beutelt das Staubtuch beim Fenster raus. Oder das Tischtuch. Aber nicht so wie die Frau dort drüben. Die hat doch eine Zwangsneurose. Alles nach einem strikten Plan. Fenster auf, ausbeuteln, Fenster zu, Fenster auf, ausbeuteln …«
    »Ich hab sie einmal beim Einkaufen gesehen«, sagt Marie. »Zuerst war ich mir nicht sicher, ob sie es wirklich ist. Sie stand vor mir an der Kasse. Aber dann hat sie sich umgedreht. Sie ist viel jünger, als ich gedacht hab. Mitte vierzig vielleicht. Seitdem tut sie mir irgendwie leid.«
    »
Du
machst dich doch immer lustig über sie.«
    »Ja eh.«
    Marie beginnt, den Tisch abzuräumen. In der Küche schlichtet sie Teller und Tassen in den Geschirrspülautomaten und stellt Marmelade und Butter in den Kühlschrank.
    »Musst du heute wieder ins Labor?«
    »Ja. Aber nächstes Wochenende kann ich zu Hause bleiben.«
    Marie geht zum Küchenfenster und stützt sich aufs Fensterbrett. »Nächstes Wochenende bleib ich über Nacht in Graz«, sagt Marie, den Blick auf das gegenüberliegende Fenster geheftet. Die Staubtuchfrau beutelt einen dunklen Stoff aus, sieht eine Weile auf die Mistkübel im Innenhof und schließt das Fenster wieder.
    »Ich muss endlich in die Wohnung. Wer weiß, wie’s dort mittlerweile ausschaut. Bestimmt schimmelt schon alles im Kühlschrank.«
    Marie muss an die Suppe denken. Wenn der Vater nur keine Suppe gekocht hat.
    »Der Gummibaum ist bestimmt auch längst verdorrt«, sagt sie.
    Jakob umarmt sie, drückt ihr einen Kuss auf den Nacken.
    »Meine Arme. Aber heute Abend machen wir es uns schön. Ich bin gegen fünf wieder zurück. Wenn du willst, könnten wir ins Kino. Du kannst ja schon einmal im Internet schauen, was es heute so spielt.«
    Nachdem die Tür ins Schloss gefallen ist, bleibt Marie noch eine Weile am Küchenfenster stehen. Dann hebt sie die Arme hoch, verschränkt die Finger ineinander, streckt die Wirbelsäule. Wenn ich nur nicht so müde wäre. Müde, verspannt und unmotiviert. Das muss der Herbst sein.
    Sie muss an den Vater denken. Wie er vor dem Fenster sitzt und in den Garten schaut. Ob er überhaupt mitbekommt, dass sie ihn besucht? Nächste Woche wird sie sich endlich um die Wohnung der Großmutter kümmern. Am Samstag nach Graz fahren, den Vater

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