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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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weiterer entsetzlich heißer Tag, die Sonne pochte mit ihrem Hammer gegen die Erde, LaVons Wagen war in einem Schattenflecken geparkt, der sich wie rissiges Schuhleder kringelte. Bob klopfte an die Küchentür, öffnete sie dann und steckte den Kopf hinein.
    »LaVon? Sind Sie da?«
    Sie kam aus ihrem Büro, eine Papierrolle in den Armen, die so groß war wie eine Karte von Texas.
    »Aha, Bob, ich nehme an, Sie sind nicht rausgeflogen. Aber Sie haben eine Menge Aufregung verpaßt«, sagte sie. »Jedenfalls willkommen zu Hause.«
    »Was habe ich verpaßt? Ich bin durch Woolybucket gekommen, aber da sah es aus wie immer.« Als sie »zu Hause« gesagt hatte, hatte ihn das berührt, denn ihm war tatsächlich zumute, als sei er nach Hause gekommen, ein Gefühl, das sich nicht eingestellt hatte, als er in Onkel Tams Wohnung gekommen war. Er versuchte sich Onkel Tam im Panhandle vorzustellen, doch das Bild ließ sich nicht halten.
    »Ha! Alles hat sich verändert. Es ist so viel passiert, daß ich gar nicht weiß, womit ich anfangen soll. Freda Beautyrooms hatte am Samstag einen Schlaganfall und ist gestorben. Na ja, war ja langsam an der Zeit. Ihr Sohn Waldo wollte sie am Wochenende besuchen und hat sie halb unter dem Bett gefunden. Er vermutet, daß sie einen Pantoffel gesucht hat oder eines von ihren Schmuckstücken. Sie hatte diesen ganzen Plastikschmuck. Ich kann das Zeug nicht leiden, ist dauernd im Weg mit seinem Geklapper und Geklimper. Ich habe mal gehört, daß einer Frau aus Amarillo, die so große Ohrringe anhatte, beim Kartoffelschälen ein Ohrring in den Spülstein gefallen und zersplittert ist, und einer der Splitter ist ihr ins Auge geraten,und sie wurde blind. Aber Freda wird uns natürlich fehlen. Sie war überall dabei. Sie war im Vorstand vom Festausschuß unseres Stacheldrahtfests. Bei ihrem hohen Alter hat sie natürlich nicht mehr viel tun können, es war ein Ehrenposten, aber irgend jemand muß ihn übernehmen. Am Sonntag waren sie hier und haben mich gefragt, ob ich einspringen kann, weil das Fest ja vor der Tür steht. Aber es ist nicht damit getan, sich am betreffenden Tag blicken zu lassen und zu lächeln und zu winken, denn mehr hat Freda nie getan. Es ist noch eine Menge Arbeit zu erledigen. Zum Beispiel müssen die Plakate aufgehängt werden.«
    Sie entrollte ein großes vierfarbiges Plakat, auf dem man ein tanzendes Paar in Westernkleidung sah, unter dessen Füßen sich eine Rolle Stacheldraht entrollte.
     
    W OOLYBUCKET -S TACHELDRAHTFEST
 T ANZ * B ARBECUE * Q UILTVERLOSUNG * R ODEO
 S AMMLERFLOHMARKT & T AUSCHBÖRSE
     
    Mit einem Schnappen wurde das Plakat wieder eingerollt. »Waldo Beautyrooms war hier, weil er mit Ihnen sprechen will. Er ist jetzt wieder in Houston – die Beerdigung war am Montag –, aber er hat eine Nummer dagelassen, unter der Sie ihn anrufen sollen. Ich habe nicht mit Ihrer Rückkehr gerechnet, und ich weiß nicht, wo ich die Nummer hingesteckt habe.«
    »Das macht nichts. Ich glaube, ich habe sie irgendwo. Das klingt nach einem ziemlich aufregenden Wochenende.«
    »Ach, das ist ja noch nicht alles. Noch lange nicht. Francis Scott Keister – ein Rancher, den Sie wahrscheinlich nicht näher kennen – hatte mit irgendeiner Frau in dem Hi-Lo Motel in Liberal ein Schäferstündchen, und Francis Scotts Frau Thomasina – Tazzy – hat ihnen hinterherspioniert und hat fünf Schüsse durch das Fenster abgefeuert. Francis Scott war auf der Stelle tot, die Frau liegt jetzt in Amarillo in der Klinik. Man bezweifelt,daß sie durchkommt. Und Tazzy sitzt im County-Gefängnis. Ihre Mutter kümmert sich um den Jungen.«
    »Du lieber Himmel«, sagte Bob. »Handelt es sich bei der Frau, die mit Francis Scott Keister zusammen war, zufällig um eine Evelyn Chine? «
    »Richtig, so heißt sie. Sie ist nicht von hier. Ich habe den Bummer aufgehoben. Sie haben eine Sonderausgabe rausgebracht. Hier. Sehen Sie. Ein Foto von diesem elenden hinterhältigen Sheriff auf der ersten Seite, wie er die arme Tazzy in seinen Wagen zerrt. Sie wollte nicht rein. Man kann sehen, daß sie sich erbittert wehrt. Es heißt, sie hätten sie mit Gewalt reinbugsieren müssen. Es heißt, daß die Frau für einen von diesen Schweinemastkonzernen gearbeitet hat. Deshalb hat Tazzy Keister auf sie geschossen – sie hatte Francis Scott soweit, daß er vor den Schweinemästern einknicken und sein Land verkaufen wollte. Eine Menge Leute finden, daß Tazzy eine Medaille verdient. Und das ist noch nicht alles.

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