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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Ferne das flache Antlitz des Busses, kaum größer als der Radiergummi am Ende eines Bleistifts. Er begann zur Haltestelle zu laufen und erreichte sie, als der Bus noch mehrere Häuserblocks entfernt war.
    »Hi«, sagte er zu dem dicken Jungen, der ihn streng ansah. »Du warst in dem Drugstore«, sagte er.
    »Ja.«
    Sie schwiegen, bis sie im Bus waren.
    »Wo gehst du in die Schule?« fragte Bob Dollar.
    »Schule! Denen gebe ich nicht die Ehre meiner Anwesenheit. Ich scheiße auf die Schule.«
    »Wahnsinn. Erlauben das deine Eltern?«
    »Natürlich erlauben sie das. Sie hatten keine andere Wahl, außer Handschellen und Zwangsverbringung. Ich hatte ein Problem mit den Lehrern. Meinen Eltern ist das egal, solange ich genug Bücher lese.«
    Bob Dollar konnte sich gut vorstellen, daß der dicke Junge mit seinen Lehrern Schwierigkeiten hatte. Er konnte sich das Potential des dicken Jungen vorstellen, Lehrer in Wut zu versetzen. »Und wie ging das? Bist du eines Tages einfach nicht mehr hingegangen? Hast du zu deiner Familie einfach gesagt: >Schluß!    »Okay, ich erzähl es dir.« Orlandos Stimme klang so gelangweilt, als wäre der Überdruß schier nicht zu ertragen. »In der Schule war ich in einer Klasse. Die Lehrerin hieß Miss Termino. Wir nannten sie den Terminator. Und die Termite. Sie hat uns diesen idiotischen Aufsatz schreiben lassen: >Was ich mit meinem Leben vorhabe<. Jeder mußte sein Meisterwerk öffentlich vorlesen. Die übliche bescheuerte Kacke, ich will Computerprogrammierer werden, Softwareentwickler, Arzt und Krankenschwester, Rennfahrer, Discjockey.«
    Er hatte ein Thema angeschnitten, das Bob zutiefst interessierte.
    »Wie können sie das wissen?« sagte er. »Wie können sie wissen , was sie werden wollen?«
    Doch Orlando ließ sich nicht auf philosophische Erörterungen ein und fuhr mit seiner Geschichte fort.
    »Jeder liest also seinen blöden Aufsatz vor außer mir, und dann sagt der Terminator: >Das war ausgezeichnet, liebe Schüler.< Sie hat nichts dazu gesagt, daß keiner Wissenschaftler oder Mathematiker werden wollte, obwohl jeder weiß, daß das der Grund dafür ist, daß unser Land in der Scheiße steckt. Einer der Gründe. Und ich habe gesagt: >Miss Termino, ichhabe meinen Aufsatz nicht vorgelesen. Sie haben mich übergangen.< Und sie hat gesagt: >Ich habe dich nicht übergangen, Orlando, sondern nur angenommen, daß du wie gewöhnlich deine Hausaufgaben nicht gemacht hast.< Und ich sage: >Die habe ich aber gemacht<, und ich stehe auf und gehe nach vorne. Ziemlich laut. Und ich lese meinen Aufsatz vor. Den ich auswendig konnte. Ich sage: >Orlandos Stadt aus Eis. Ich will weder Gehirnchirurg werden noch Präsident ich hätte nichts dagegen ein berühmter Ringer zu sein oder jemand der Kampfhunde züchtet oder Kapitän eines Ozeandampfers aber vorher will ich am Südpol eine Stadt aus Eis bauen und mir Geld von großen Firmen besorgen und eine Menge Burschen ohne Arbeit anstellen – die asozialen Elemente aus Kansas City wegholen – die die Stadt aus Eis bauen. Alle Häuser sind aus reinem Eis und ich habe einen großen Feuerofen um Schnee zu schmelzen und das Wasser in Formen zu spritzen – Rechtecke Kuben Kegel und Zylinder – und die Asozialen fügen sie zu großen Wolkenkratzern und Kuppeln aus Eis zusammen und innen habe ich dieses ganze Licht so daß die Gebäude nachts farbig leuchten und die besten und größten Gebäude werden riesengroße Vierecke sein und wenn Leute eine Stadtrundfahrt machen wollen kassiere ich dafür fünfzig Dollar pro Nase und Pinguinsteak zum Abendessen inklusive.< Und da macht ein Mädchen: >Pinguinsteak! Igitt! Kraß!<, und ich habe sie angerempelt, wegen ihrer spießigen Beschränktheit und weil Pinguinsteaks wahrscheinlich ganz prima sind, aber sie ist auf ihr Pult gefallen und hat sich die Zähne abgebrochen wie bei einem Hockeyspieler, und der Terminator hat gesagt, ich muß zum Schulleiter. Ich sagte kein Wort, nahm meine Bücher und ging raus. Ende. Mein Vater – ein Trottel, aber was soll’s – war auf meiner Seite. Und zwei Wochen später sind wir hergezogen.«
    »Ich wette, du hast entweder eine tolle Phantasie oder du bist ein gewaltiger Lügner«, sagte Bob Dollar.
    »Tja, das mußt du selber herausfinden.« Orlando hing mitseinem Gewicht am Halteriemen, und sein Körper schwankte im Rhythmus des Busses.
    Bob sagte: »Ich kann nicht begreifen, wie Leute wissen können, was sie werden wollen, bevor sie alt sind, zwanzig oder so.«
    »Du

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