Mitten in Amerika
Film?«
» Die Rattenfrauen . Echt große Klasse. Wie alter Schwarzweißkintopp mit richtigem Korn. Du machst dir vor Schiß in die Hosen. Ein alter Horrorfilm aus den Sechzigern. Im Cliff Edge zeigen sie nur Horror und perverse Sachen. He, müssen wir hier nicht umsteigen?«
Jetzt ging es die Colfax entlang, vorbei an der Satire Lounge, an PS Greek Pizza, vorbei an John Elways Ersatzteilen und Tammys Nagelstudio, an Air Afrik, dem Dragon Express und The Bomb. Vor dem Space-Age-Atomic-Waschsalon wurde gerade ein Faustkampf ausgetragen, und Bob erzählte Orlando, daß Onkel Tams Kumpel früher in Jersey Johns Kleintier- laden gearbeitet hatte und daß sie in der Mad-Dog-andPilgrim-Buchhandlung ein Konto unterhielten, das Bob zwei Bücher im Monat erlaubte. (Bob war regelmäßig in die Zweigstelle der Leihbücherei gegangen, bis Onkel Tam es ihm verboten hatte, weil er die Bücher nie rechtzeitig zurückbrachte und die Mahngebühren sich anhäuften.) Orlando wirkte nicht sonderlich beeindruckt. Schließlich kamen sie an Food 99 und an dem Laden mit Armeerestbeständen vorbei und erreichten Onkel Tams Laden – GebraUCht, aber SO gUt WIe neU –, und Bob stieg die Schamröte ins Gesicht, weil alles so armselig und ärmlich aussah.
Onkel Tam lag auf dem durchgesessenen Sofa, trank Bier und schaute fern. Er nahm das braune Plastikglas und schüttelte zwei der großen Kapseln heraus, die er mit einem Mundvoll Bier hinunterspülte.
»So, ins Kino willst du?« sagte er. »Ist der Film gut? Ich würde vielleicht mitkommen, aber mein Rücken macht mir so zu schaffen.«
»Es würde Ihnen vielleicht nicht zusagen«, sagte Orlando. »Es ist ein alter Horrorfilm. Die Rattenfrauen .«
»Na ja, das ist wohl eher nicht ganz mein Geschmack. Da amüsiert euch mal ohne mich.« (Jacques Tati in Mon oncle hatte er siebenunddreißigmal gesehen wegen der Szene in der Plastikfabrik, wenn der rote Schlauch wie mit voller Blase anschwillt und sich in einer Kette glänzender Plastikwürstchen entleert.) Er förderte aus der Tasche einen Dollarschein zutage.
»Hier, Bob, für Popcorn. Und eine Zeitung. Bring mir auf dem Rückweg eine Post mit.«
Nach Abzug der fünfzig Cent für die Zeitung blieben fünfzig Cent für Popcorn übrig, und Bob wußte, daß es nirgends auf der Welt für diesen winzigen Betrag Popcorn gab. Doch Orlando sagte draußen: »Ich lade dich ein. Es war schließlich meine Idee. Außerdem komme ich an soviel Geld, wie ich will. Mein Alter säuft, und wenn er besäuselt nach Hause kommt und gleich einschläft, gehe ich an seine Brieftasche und nehme mir einen Zwanziger oder was es gerade gibt, und eine Art Job habe ich auch.« (Später erfuhr Bob, daß Orlandos »Art Job« darin bestand, daß er in der Einkaufspassage an der 16. Straße Touristen anbettelte, eine Kunst, die er von einem zerlumpten Subjekt erlernt hatte, das in einem kostspieligen Loft mit allem Komfort in Lower Downtown wohnte und dem Bettlergewerbe nur bei garstigem Wetter nachging, denn dann bewegte das Mitleid die Passanten dazu, tief in die Tasche zu greifen. Die besten Zeiten waren stürmische Nachmittage kurz vor Weihnachten.)
Das Cliff Edge war grauenhaft, der Film war grauenhaft, und Bob Dollar genoß beides. Außer den Eintrittskarten kaufte Orlando Popcorn und Literflaschen Cola ohne Markenname. Das »Filmtheater« war ein umgebauter Lagerraum hinter dem Schnapsladen, dessen schräg ansteigender Fußboden aus nacktem billigem Sperrholz bestand, das unter jedem Tritt hohl dröhnte. Die Holzklappsitze waren ungepolstert. Es stank nach Urin und altem Bratöl. Das Publikum beschränkte sich auf vierzehn Zuschauer.
Der Film begann mit Bildern Dutzender Ratten, die durch eine verdreckte Hafenstraße einer ungenannten Stadt huschten. Nahaufnahmen von Ratten, die Abfall fraßen, von lauernden Ratten, von Rattengemeinschaften, die aneinander- geschmiegt in Rattennestern schliefen, Nahaufnahmen von Ratten, die Knorpel fraßen, und von einer, die an einer klebrigen Substanz leckte, die wie verfaulter Bananenpudding aussah. Dann flitzten die Ratten um eine Ecke und waren fort. Die Kamera fuhr relativ gemächlich hinterher. Hinter der Ecke sah man keine Ratten, sondern acht oder zehn Blondinen, die an der Wand eines Lagerschuppens lehnten, in wollüstigen Posen, mit viel Lippenstift, in langen engen Kleidern, deren Straßbesatz glitzerte. Die Frauen rauchten und starrten durch Sonnenbrillen in die Dunkelheit. Sie trugen spitze Schuhe mit unvorstellbar
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