Mitten in Amerika
Haley. Dieser Dummkopf. Der ist so dumm, daß er Kopfschmerzen bekommt, wenn er sich die Schnürsenkel binden muß. Ich kann mir nicht mal eine Gesichtspackung machen, ohne daß an die Tür gehämmert wird und jemand ein Zimmer mieten will. Er ist so ungeheuer dumm, daß er nicht mal weiß, daß ich seit einem Jahr nicht mehr vermiete. Wer nach Cowboy Rose kommt, soll bei seinen Verwandten wohnen oder sich ein Zelt mitbringen. Ich hatte Ärger mit der letzten Mieterin und habe mir geschworen, das Zimmer nie wieder zu vermieten. Kam aus Minnesota und hat überhaupt nicht hierhergepaßt. Nachts auf bis in die Puppen und bis mittags in der Falle, und dann wollte sie auch noch Orangensaft . Dachte wohl, sie wäre hier in Florida. Ich habe ihr gesagt, sie soll die Schuhe ausziehen, wenn sie reinkommt – wegen dem weißen Teppich auf der Treppe –, aber sie hat gar nicht daran gedacht, lieber hat sie mir den Teppich ruiniert.«
»Mrs. Schwarm, ich schwöre Ihnen, daß ich die Schuhe ausziehen würde. Mit mir gäbe es keine Schwierigkeiten –«
»Nein. Es gibt keine Schwierigkeiten mit Ihnen, weil ich kein Zimmer zu vermieten habe. In dem Zimmer ist gar kein Bett mehr. Mein Mann benutzt es als Hobbyraum. Er schnitzt Holzenten.« Und sie schloß die Tür.
Er fuhr in nördliche Richtung nach Perryton an der Grenze zu Oklahoma, einer Ortschaft, die mit herumflatternden Fastfood-Verpackungen und alten Wahlplakaten dekoriert war. Die Ampeln schaukelten im Wind. Jedes Fahrzeug war ein Pickup; er fuhr die einzige Limousine, und die Leute drehten sich um und starrten auf seine Colorado-Nummernschilder, als er die Hauptstraße entlangfuhr. Alle Motels waren ausgebucht. Am Stadtrand stieß er auf ein trauriges zweistöckiges Gebäude namens The Hoss Barn. Über der Tür hing ein großes Spruchband mit der Beschriftung Hoss Barn begrüsst die Baptisten von Marble Falls.
»Gehören Sie zu den Kirchenleuten?« fragte der Mann an der Rezeption, ein junger Bursche mit schiefer Visage und narbiger Nase. Bob Dollar schätzte ihn als ehemaligen Sträfling ein.
»Nein, ich bin geschäftlich unterwegs.«
»Dann kostet es den vollen Preis, siebzehn Dollar die Nacht.«
»Das ist okay.« In Oklahoma hatte er siebenunddreißig bezahlt.
Das Hoss Barn hatte einen dünnen, schmutzigen Teppich auf Betonstufen zu bieten. Plastikbecher und leere Erdnußtüten lagen in den Ecken. Bobs Zimmer war klein und armselig und roch durchdringend nach parfümiertem Desinfektionsmittel; gestrichener Betonboden, der Fernseher an die Wand gekettet, nur eine funktionierende Glühbirne, mehrere Bibeln, eine davon im verlausten Badezimmer. Über dem Bett hing ein vergrößertesFoto vom Palo Duro Canyon. Aus dem Nebenzimmer hörte er Gesang und »Halleluja«-Rufe, und als er wieder in den Flur trat, weil er ein Restaurant zum Abendessen suchen wollte, fiel ihm ein handgeschriebener Zettel – G EMEINSAMES G EBET UM 5 U HR – an der Klinkerwand auf, den jemand mit gebrauchtem Tesafilm angeklebt hatte.
Jedes Restaurant im Ort war zum Bersten voll; die Leute standen in langen Schlangen vor den Türen, nur vor dem Mexicali Rose befand sich lediglich ein kleines Grüppchen hungriger Wartender. Er wartete mit ihnen und wurde nach einiger Zeit zu einem winzigen Tisch neben der Küchentür geführt, die jede halbe Minute energisch aufgestoßen wurde. In dem Restaurant wimmelte es von Baptisten und deren Kindern, die entweder unter den strengen Augen ihrer Eltern passiv und reglos dasaßen oder wie die Irren hin und her und um die Kellnerinnen herum liefen. Er bestellte Enchiladas und musterte die Gäste. In einer Nische neben seinem Tisch saßen zwei sehr brave Kinder mit gefalteten Händen. Die Eltern unterhielten sich mit leiser Stimme und blickten hin und wieder mißbilligend zu den lauten Kindern, die herumliefen und -sprangen. Bob hörte den Vater sagen, man sollte sie ihm nur für fünf Minuten überlassen, dann würde er ihnen schon zeigen, wo es langgeht, dann würde er ihnen die Leviten lesen und ihnen eine Abreibung verpassen, die sie ihr Lebtag nicht vergessen würden. Das Essen der Familie wurde gebracht, Cheeseburger und Pommes frites für jeden, Eistee für die Eltern und Riesengläser Milch für die Kinder.
Dieselbe Kellnerin brachte mit Asbesthandschuhen Bob einen Metallteller, dessen Oberfläche ein See glühendheißen gelben Käses bildete. Er steckte die Gabel hinein, und Dampf zischte hervor. Er wunderte sich, daß die Zinken der Gabel nicht
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