Mitten in Amerika
Schublade eines Tierpräparators. Entzündete Pickel zogen sich in einer Linie vom Winkel seines trichterförmigen Mundes bis zum Ohr. Seine Uniform bestand aus einer Lederjacke und einem schwarzen schmalen Schlips. Sein Leben lang war er Bettnässer gewesen; inzwischen machte es ihm nichts mehr aus. Im Bett hatte er ein Gummituch und im angrenzenden Badezimmer eine Waschmaschine. Er hatte nie geheiratet, weil es für ihn unvorstellbar war, diese Situation zu erklären. Er war ein zwanghafter Nägelbeißer. Er zählte alles, die Stufen des Gerichtsgebäudes, Telegrafenmasten, die Knöpfe an den Hemden von Übeltätern, die Pfefferpünktchen auf seinen Frühstückseiern, die Zahl der Sekunden, die er brauchte, um (in wachem Zustand) seine Blase zu entleeren.
Andere Mitglieder der Familie Dough waren Überwachungsbeamte und Sicherheitskräfte geworden und bildeten gewissermaßen eine Dynastie der öffentlichen Sicherheit. Hugh Doughs Halbbruder Doug war Anwaltsgehilfe; ihre Großmutter mütterlicherseits war um die Jahrhundertwende Mitglied der Panhandle-Damenfeuerwehrbrigade in Amarillo gewesen, mit einem atemberaubenden Kostüm aus schwarzen Strumpfhosen, kurzem Sergekleid mit riesengroßen Messingknöpfen und einem Metallhelm mit Helmzier, der denen römischer Gladiatoren nachempfunden war. Dolly Cleat, seiner Großtanteväterlicherseits, gebührte der Ehrenplatz. Sie hatte es zu Anfang des Jahrhunderts bis an die Universität von Chicago gebracht, wo sie sich auf Politische Ökonomie und Soziologie spezialisierte, und hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg von der Aufseherin des Armenhauses für Frauen in Ohio zur Stellvertretenden Leiterin des Mädchenheims in West Virginia hochgearbeitet. Ponola Dough (» die eiserne Ponola «), die unverheiratete Schwester seines Vaters, war die Chefin der freiwilligen weiblichen Polizeihilfskräfte in Pine Cone, südlich von Waco. Vor ihrem Aufstieg zu dieser Spitzenposition waren die Hilfskräfte nichts weiter gewesen als Polizistengattinnen, die Selbstgebackenes verkauften, um Geld für einen Pool-BillardTisch für die Kaserne zu sammeln oder um der Familie eines Polizisten unter die Arme zu greifen, die durch Krankheit oder Tod des Ernährers in Not geraten war. Ponola änderte das und machte aus den Hilfskräften eine paramilitärische Organisation mit Uniformen und schwarzen Ledergürteln und Stiefeln, steifen Hüten im Stil von Smokey the Bear, Blusen mit Halstuch und so weiter. Die kuchenbackenden Ehefrauen wurden entsorgt, und statt ihrer kamen Ponolas Freundinnen, kräftige baptistische republikanische Amazonen und Abtreibungsgegnerinnen, die auf der Straße vor Pine Cones einziger Bar patrouillierten, um in Schlägereien einzugreifen und Cowboys die Arme zu verdrehen, Tätigkeiten, auf die sie sich ganz prächtig verstanden.
Doch am nächsten von allen stand ihm seine jüngere Schwester Opal, mit der er als Jugendlicher eine besondere Beziehung unterhalten hatte, begonnen an einem schwülen Sonntagnachmittag, als er vierzehn und Opal zwölf war. Sie hatten Verstecken gespielt mit Cousins, die zu Besuch waren, unförmigen, zottelhaarigen Grobianen, die sie beide nicht leiden konnten. Sie hatten sich im Heu oben in der Scheune versteckt. Die Notwendigkeit, sich still und unauffällig zu verhalten, die Nähe des jeweils anderen Körpers, das Dämmerlichtder Scheune mit den vereinzelten Lichtstrahlen durch die Löcher im Dach verleiteten sie zu halb spielerischen körperlichen Erkundungen, die bis ins nächste Jahr an vielen Orten ihre Fortsetzung fanden, von der Mantelgarderobe im Eingangsraum bis zur Familienlimousine, die Hugh zu bestimmten Anlässen fahren durfte. Einer dieser Anlässe war seine Funktion als Begleiter seiner Schwester zum Tanzen, denn Opal durfte nicht mit jungen Männern ausgehen. Statt dessen, so bestimmte es das Familienoberhaupt der Doughs, hatte Hugh seine Schwester zum Tanzen zu fahren und zurückzubringen. Dort durfte sie sich für den Abend mit ihrem Partner treffen, während Hugh sich mit seiner Freundin amüsieren konnte.
Eines warmen Septemberabends, als Opal dreizehn und Hugh fünfzehn war, hatte er sie zum Tanzen gefahren. Er war in ein großes Mädchen mit langen roten Haaren verliebt, Ruhama Bustard, die erst vor kurzem aus Click County, Missouri, in das Panhandle-Gebiet gekommen war. Er tanzte sechsmal hintereinander mit Ruhama, die es zwar zuließ, daß er sich an ihr rieb, doch als er sie bat, mit ihm auf den Parkplatz zu kommen,
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