Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt
zum Fenster hinaus. Er schien angestrengt nachzudenken. Joop war sicher, dass er überlegte, was sie gegen ihn in der Hand haben könnten.
Im Präsidium brachte Joop Schrewe in einen Verhörraum.
Wenige Minuten später erschien Linda mit Berger auf dem Gang. Sie wollte ihn schon in den zweiten Verhörraum bringen, als Grube sie stoppte.
„Warte, Linda! Bring Herrn Berger doch lieber in mein Büro.“
Berger würde keinen Ton sagen und vor allem sofort nach seinem Anwalt schreien, wenn er mitbekäme, dass er unter Verdacht stand.
Sie standen zu dritt auf dem Flur und warteten auf Nilgün. Die Streife musste in wenigen Minuten mit ihr eintreffen. Wenn sie Schrewe eindeutig identifizieren konnte, würde Grube sich um einen vorläufigen Haftbefehl bemühen.
Grube hatte bei Security Seeger erfahren, dass Berger bereits am Freitag mit dem Firmenchef telefoniert und eine Auflösung des Objektschutzvertrages ausgehandelt hatte. Außerdem war Schrewe, laut Firmenchef, überhaupt nicht befugt, über Verträge zu verhandeln. Er war nur für die Durchführung der Kundenaufträge verantwortlich. Was also hatte Berger am Sonntagvormittag mit Schrewe zu besprechen gehabt?
Nilgün kam in Begleitung eines Streifenbeamten den Flur entlang. Sie ging schnurstracks auf Joop zu.
„Wenn Sie mich so dringend wiedersehen wollen, wäre ein Besuch im Lokal um einiges weniger aufwändig gewesen.“ Sie lächelte ihr breitestes Lächeln. Sekunden später verdunkelten sich ihre Augen. Theatralisch rief sie aus: „Wissen Sie, was Sie mir angetan haben? Bestimmt werde ich entlassen. Die Gäste haben sicher gedacht, dass ich verhaftet werde!“ Sie griff sich mit beiden Händen an die Brust.
Der Streifenbeamte verdrehte die Augen. „Sicher nicht!“
Er schüttelte genervt den Kopf. „Sie hat mehrere Male durchs ganze Lokal gerufen: ,Ich muss einen Verbrecher identifizieren. Oh mein Gott! Ich muss jetzt auf die Polizei, um einen Verbrecher zu identifizieren!‘“
Joop grinste. Er konnte es sich lebhaft vorstellen.
Grube nahm Nilgün beiseite und erklärte ihr die Vorgehensweise. Dass sie keine Angst haben müsse. Dass die Männer sie hinter dem Spiegel nicht sehen könnten und so weiter … Nilgün war nicht beeindruckt. „Ja, ja! Hab ich schon hundert Mal im Fernsehen gesehen.“
Dann drehte sie sich noch einmal zu Joop um. „Ich sehe mir die Männer nur an, wenn Sie mich hinterher zurückfahren!“
Linda traute ihren Ohren nicht und polterte los. „Also jetzt reicht es aber. Was glauben Sie eigentlich, was das hier ist?“
Joop hob beschwichtigend die Hände.
„Ich kann hier heute Abend nicht weg, aber ich bin morgen in Emmerich.“ Er lächelte die hübsche Türkin an.
Nilgün erkannte Schrewe unter den sechs aufgestellten Personen auf Anhieb. Sie untermauerte ihre Aussage mit dem Hinweis: „Übrigens, man kann es jetzt nicht sehen, aber er hat auf dem rechten Unterarm ein chinesisches Schriftzeichen eintätowiert.“
44
In der Küche macht sie in einem großen Topf Wasser heiß, trägt ihn ins Badezimmer, steckt den Stöpsel in die Badewanne und gießt es hinein. Sie dreht den Hahn auf und lässt kaltes Wasser dazu.
Die Kinder streiten, wer zuerst baden darf .
„Mama, ich will nicht in Svens Wasser baden. Der durfte letztes Mal schon zuerst.“
Nur Lina ist die Reihenfolge noch egal.
Martina hockt auf dem Wannenrand, fühlt mit der Hand die Wassertemperatur und sieht ihre Tochter an.
Warum tut sie das? Warum macht sie in letzter Zeit immer alles so schwierig? Nichts kann sie ihr recht machen. Seit Wochen fangen Julias Sätze mit „Die anderen können aber … die anderen dürfen aber … die anderen haben aber …“ an.
Langsam erhebt sie sich. Der Schmerz in ihrem Knöchel schießt durch den Körper, tritt Bilder und Wörter in ihrem Kopf frei. Bilder, die sie nicht kennt. Wörter, die sie gelesen und gehört hat.
Die Klassenfahrt, der Brief vom Schulamt, die Stromrechnung, der Polizist mit dem Foto, die Miete für diesen Monat, der Park, das Heim, der Park, der Park.
Sie spürt, wie Sven an ihrem Arm zieht, sie hört ihn schreien, sie hört Julia weinen, spürt die Nässe.
Mühsam hievt sie sich mit Svens Hilfe aus der Wanne.
Sie wankt, setzt sich auf den Toilettendeckel, nimmt ein Handtuch, versucht, die durchnässte Strickjacke abzutrocknen.
Sven nimmt ihr das Handtuch ab, hilft ihr, die Jacke und das T-Shirt auszuziehen.
Sie streicht ihm über den Kopf.
„Alles gut. Keine Sorge. Mama ist nur ein
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