Mitten ins Herz - Roman
irgendwie - leidenschaftlich.«
»Richtig leidenschaftlich?«
Valerie lief rot an. »Sie hat’s mir französisch gemacht!«
»Und?«
»Komisch. Es war echt komisch.«
»Dann bist du also doch nicht lesbisch.«
»Das nehme ich mal an.«
»Wenigstens hast du es versucht. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt«, sagte ich.
»Ich habe mir gedacht, dass man vielleicht erst mit der Zeit auf den Geschmack kommt. Als Kinder haben wir auch nicht gern Spargel gegessen. Und heute esse ich für mein Leben gern Spargel.«
»Dann musst du eben dranbleiben. Schließlich hat es ja auch zwanzig Jahre gedauert, bis du Spargel mochtest.«
Valerie dachte darüber nach, während sie ihren Kuchen verzehrte.
Grandma kam herein. »Was ist los? Habe ich was verpasst?«
»Wir essen Napfkuchen«, sagte ich.
Grandma nahm sich ein Stück und setzte sich. »Hast du schon auf Stephanies Motorrad gesessen?«, fragte sie Valerie. »Ich bin heute Abend damit gefahren, und in meinen Schamteilen hat es ganz schön gekribbelt.«
Valerie hätte sich beinahe an ihrem Kuchen verschluckt.
»Vielleicht solltest du dein Vorhaben, lesbisch zu werden, aufgeben und dir lieber eine Harley zulegen«, schlug ich Valerie vor.
Meine Mutter kam in die Küche. Sie warf einen Blick auf den Teller mit den Napfkuchen und seufzte. »Die waren eigentlich für die Mädchen gedacht.«
»Wir sind Mädchen«, sagte Grandma.
Meine Mutter setzte sich und nahm sich einen. Sie entschied sich für einen Vanillenapfkuchen mit bunten Streuseln. Wir waren geschockt. Meine Mutter aß sonst nie einen hellen Napfkuchen mit Streuseln. Meine Mutter aß immer die halben Reststücke oder die Napfkuchen mit gebrochenem Zuckerguss. Meine Mutter aß die zerbröselten Plätzchen und die Pfannkuchen, die auf einer Seite angebrannt waren.
»Wow«, sagte ich zu ihr. »Du isst ja einen ganzen Napfkuchen.«
»Den habe ich mir verdient«, sagte meine Mutter.
»Du hast bestimmt wieder die Oprah-Winfrey-Show gesehen«, sagte Grandma zu meiner Mutter. »Das merke ich immer, wenn du Oprah geguckt hast.«
Meine Mutter knibbelte an der Papierkrause. »Ich muss euch noch etwas sagen …«
Wir hörten alle auf zu kauen und starrten meine Mutter an.
»Ich gehe wieder aufs College«, sagte sie. »Ich habe mich in Trenton beworben, und gerade habe ich die Nachricht erhalten,
dass ich angenommen bin. Es ist Teilzeit. Sie geben auch abends Seminare.«
Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Ich hatte schon befürchtet, jetzt käme die Ankündigung, sie würde sich die Zunge piercen oder ein Tattoo machen lassen. Oder sie würde von zu Hause weglaufen und sich einem Zirkus anschließen. »Das ist ja toll«, sagte ich. »Für was hast du dich denn eingeschrieben?«
»Erst mal nur ganz allgemein«, antwortete meine Mutter. »Aber irgendwann möchte ich mal Krankenschwester werden. Ich fand immer, dass ich bestimmt eine gute Krankenschwester abgeben würde.«
Gegen Mitternacht kam ich zurück in meine Wohnung. Der hohe Adrenalinspiegel hatte sich gesenkt, Erschöpfung war an seine Stelle getreten. Ich war bis obenhin abgefüllt mit Napfkuchen und Milch, und ich wollte nur noch unter die Bettdecke kriechen und eine Woche lang ausschlafen. Ich fuhr mit dem Aufzug, und als sich die Tür auf meiner Etage öffnete, blieb ich erst mal wie angewurzelt stehen, mochte meinen Augen kaum trauen. Am Ende des Gangs, vor meiner Wohnungstür, stand Eddie DeChooch.
Auf dem Kopf trug er einen riesigen Handtuchturban, festgebunden mit einem Gürtel, die Schnalle in Höhe der Schläfe schräg aufliegend. Er blickte hoch, als ich auf ihn zuging, aber er stand nicht auf, er lachte nicht, er zielte nicht auf mich, er begrüßte mich auch nicht. Er saß nur da und stierte vor sich hin.
»Sie müssen rasende Kopfschmerzen haben«, sagte ich.
»Ein Aspirin wäre nicht schlecht.«
»Warum sind Sie nicht einfach reingegangen? Alle anderen machen das auch.«
»Ich habe mein Werkzeug nicht dabei. Für so was braucht man Werkzeug.«
Ich zog ihn hoch und führte ihn in meine Wohnung. Ich ließ ihn in meinem bequemsten Wohnzimmersessel Platz nehmen und zog die halb leere Flasche Schnaps hervor, die Grandma in meinem Kleiderschrank stehen gelassen hatte, als sie einmal bei mir übernachtet hatte.
DeChooch kippte drei Fingerbreit und bekam wieder etwas Farbe ins Gesicht.
»Ich dachte schon, Sie würden mich wie eine Weihnachtsgans aufschlitzen«, sagte er.
»Es war knapp. Wann sind Sie zu sich
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