Mitten ins Herz - Roman
für eine Ausfahrt mit der Harley. Keine Mücken, kein Regen. Hinter mir spürte ich Lula, die unsere Kühltasche fest hielt.
Ronald hatte das Verandalicht an seinem Haus angemacht, wahrscheinlich erwartete er mich. Hoffentlich fand sich in seinem Tiefkühlfach noch ein freies Plätzchen für ein Organ. Lula blieb mit der Glock in der Hand auf der Harley sitzen, und ich ging mit der Kühltasche zur Haustür und klingelte.
Ronald öffnete und sah erst zu mir, dann zu Lula. »Schlafen Sie beide jetzt auch zusammen?«
»Nein«, sagte ich. »Ich schlafe mit Joe Morelli.«
Ronald blickte ein wenig finster drein, weil Joe verdeckter Ermittler und Ronald verdeckter Lieferant war.
»Ich möchte, dass Sie zuerst anrufen, damit Grandma freikommt, bevor ich Ihnen das hier übergebe«, sagte ich.
»In Ordnung. Kommen Sie rein.«
Ronald zuckte die Achseln. »Wie Sie wollen. Zeigen Sie mir das Herz.«
Ich schob den Deckel beiseite, und Ronald schaute hinein.
»Ach, du Schreck«, sagte er. »Das ist ja tiefgefroren.«
Ich schaute ebenfalls in die Tasche und sah einen etwas matschigen, kastanienbraunen, in Plastik eingeschweißten Klumpen Eis.
»Ja«, sagte ich. »Es sah schon ein bisschen pervers aus. So ein Herz kann man nicht ewig lange mit sich rumschleppen. Deswegen habe ich es tiefgefroren.«
»Sie haben es doch gesehen, als es noch nicht gefroren war. Und da war es noch in Ordnung, oder?«
»Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet.«
Ronald verschwand und kam mit einem schnurlosen Telefon wieder. »Hier«, sagte er und reichte mir den Hörer. »Ihre Granny ist dran.«
»Ich bin mit Eddie in Quaker Bridge«, sagte Grandma. »Bei Macy’s habe ich eine Jacke gesehen, die mir gefällt, aber dazu muss ich erst noch auf die nächste Rente warten.«
Eddie übernahm das Gespräch. »Ich setze sie hier in dem Pizzarestaurant ab. Sie können sie jederzeit abholen.«
Ich wiederholte das Gesagte für Ranger. »Nur, damit ich Sie richtig verstanden habe: Sie setzen Grandma in dem Pizzarestaurant in der Quaker Bridge Mall ab.«
»Ja«, sagte Eddie. »Was ist? Tragen Sie einen Sender am Körper?«
»Ich doch nicht.«
Ich reichte Ronald den Hörer und übergab ihm die Tiefkühltasche. »An Ihrer Stelle würde ich das Herz fürs Erste ins Tiefkühlfach legen und es dann für die Fahrt nach Richmond auf eine Schicht Trockeneis betten.«
Er nickte. »Wird gemacht. Wir wollen doch dem guten Louie D. kein Herz voller Maden einpflanzen.«
»Was ich Sie fragen wollte, nur so, aus purer Neugier«, sagte ich, »war das Ihre Idee, dass ich das Herz hierher bringen sollte?«
»Sie sagten doch, ich soll nichts vermasseln.«
Wieder zurück am Motorrad, holte ich mein Handy hervor und rief Ranger an.
»Schon unterwegs«, sagte er. »Ich bin zehn Minuten von der Quaker Bridge Mall entfernt. Ich rufe zurück, wenn Grandma bei mir ist.«
Ich nickte mit dem Kopf und kappte die Verbindung, unfähig zu sprechen. Manchmal ist das Leben einfach überwältigend.
Lula wohnt in einem winzigen Apartment in einer Ecke des Ghettos, die noch einigermaßen erträglich ist, was Ghettos betrifft. Ich fuhr die Brunswick Avenue entlang, kurvte ein bisschen durch die Gegend, überquerte die Bahngleise und fand schließlich Lulas Viertel. Die Straßen waren eng, die Häuser klein, ursprünglich wahrscheinlich für Einwanderer errichtet, die für die Arbeit in den Porzellanfabriken und Stahlwerken hergeholt worden waren. Lula wohnte genau in der Mitte des Häuserblocks, im zweiten Stock.
Gerade hatte ich den Motor abgestellt, da klingelte das Handy.
»Deine Großmutter ist bei mir«, sagte Ranger. »Ich bringe
sie nach Hause. Soll ich unterwegs eine Pizza für dich holen?«
»Mit Pepperoni und einer doppelten Portion Käse.«
»Die doppelte Portion Käse ist der Fettmacher«, sagte Ranger und legte auf.
Lula stieg vom Motorrad und sah mich an. »Alles in Ordnung?«
»Ja. Ich komme schon zurecht.«
Sie beugte sich vor und umarmte mich. »Du bist ein guter Mensch.«
Ich erwiderte ihr Lächeln, blinzelte heftig und wischte mir die Nase mit dem Ärmel ab.
»Oh«, sagte Lula. »Du weinst doch nicht etwa?«
»Nein. Ich glaube, ich habe nur unterwegs einen Mückenschwarm verschluckt.«
Bis ich zum Haus meiner Eltern gelangte, dauerte es noch einmal zehn Minuten. Ich stellte die Maschine vor dem Nachbarhaus ab und schaltete den Scheinwerfer aus. Ich wollte das Haus auf keinen Fall vor Grandma betreten. Meine Mutter war bestimmt schon halb
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