Mitternachtsfalke - Auf Den Schwingen Der Liebe
in schwarzen Handschuhen, ritt lässig stadtauswärts. Es war nur der eine kurze Blick in das Gesicht des geheimnisvollen Fremden, der Julia die Luft zum Atmen nahm. Was für ein Mann. Langsam entschwand er ihrem Sichtfeld. Sie lehnte sich nach vorne, um ihm noch diese eine Sekunde länger hinterhersehen zu können. Tom, der noch immer redete, hatte davon nichts mitbekommen. Wohl aber Loraine.
„Lady Julia, da seht ihr, was ich meine, …“
Julias Knie zitterten und sie musste den Kopf schütteln, um wieder im Hier und Jetzt zu landen. Entschlossen wandte sie dem Fenster den Rücken zu, und einzig ihre rosigen Wangen zeugten von ihrem inneren Aufruhr.
„… dieses Kopfgeld lockt die wildesten Gestalten in unsere Gegend. War dieser Kerl nicht furchteinflößend?“
Zugegeben, ein großer dunkler Mann auf so einem Pferd konnte unter Umständen als furchteinflößend bezeichnet werden, aber Julias Gänsehaut hatte nichts mit Furcht zu tun. Vielmehr würde sie diesen Reiter als faszinierend bezeichnen. Sie redete sich ein, die nächste Frage nur zu stellen, weil sie ebenso besorgt war, wie Loraine, und nicht, weil sie unbedingt mehr über diesen Mann erfahren wollte.
„Ja, wirklich Loraine, da habt ihr Recht. Wisst ihr denn, wer dieser Mann ist?“
Tom schüttelte den Kopf.
„Nein, leider nicht. Wir wissen nur, dass er seit etwa vier Tagen hier in Stonehaven ist. Er ist bei Ian abgestiegen. Tagsüber lässt er sich nie blicken, aber immer gegen Abend reitet er aus der Stadt hinaus. Erst am nächsten Morgen kommt er dann wieder zurück. Und seiner Miene nach wird seine Laune von Tag zu Tag schlechter.“
„Hm, aber wenn er im Gasthof wohnt, muss doch jemand seinen Namen kennen“, wunderte sich Julia. Zumindest Ian O’Brian, der irische Gastwirt, musste doch wissen, wer bei ihm ein Zimmer nahm. Vielleicht sollte sie bei Gelegenheit selbst einmal mit ihm sprechen. Schließlich war es immer gut, über solche Dinge im Bilde zu sein. Und ganz sicher hatte ihr Interesse nichts damit zu tun, dass sie von diesem Reiter auf Anhieb so fasziniert gewesen war. Nein, ihr ging es nur um die Sicherheit der Menschen in Stonehaven.
„Wie auch immer. Mir ist herzlich egal, wer der Kerl ist, Hauptsache er zieht bald weiter“, schimpfte Loraine, der ihre Angst vor dem Reiter deutlich anzumerken war.
„Ich fürchte, das Kopfgeld wird uns stattdessen nur noch mehr von dem Pack in die Stadt locken. Und sicher ziehen diese Männer erst wieder ab, wenn der Mitternachtsfalke zur Strecke gebracht wurde“, befürchtete Fanny.
Beunruhigt runzelte Julia die Stirn.
„Glaubt ihr denn, dass der Falke dumm genug ist, sich von einem Kopfgeldjäger erwischen zu lassen?“, wollte Julia daher wissen.
„Nun, dumm ist er bestimmt nicht. Aber die Frage ist doch, wie lange sich der Mitternachtsfalke seinen Jägern entziehen kann. Immerhin sind auch noch Gisbournes Männer hinter ihm her.“
Dem hatte Julia nichts entgegen zu setzten. Mit sorgenvoller Mine machte sie sich daher kurze Zeit später an Fannys Seite auf den Weg zum Herrenhaus.
„Fanny, willst du nicht doch noch einmal darüber nachdenken in die Stadt zu ziehen?“, griff Julia das Thema noch einmal auf.
Fanny hatte keine Lust das Gespräch von vorhin fortzusetzen, da sie niemals ihr Zuhause verlassen würde.
„Du willst doch nicht etwa mich warnen? Ist das dein Ernst Julia? Gerade du ?“, hakte sie ungläubig nach.
Da Julia ihr die Antwort schuldig blieb und stattdessen schmollend weiterging, ließ Fanny ihrer Freude über die schönen Bänder, die sie von Tom für ihre Hilfe geschenkt bekommen hatte, freien Lauf.
„Oh sieh nur wie herrlich! Ich werde mir mit dieser Spitze mein blaues Kleid säumen. Das wird wundervoll aussehen. Und die grünen Bänder werde ich für mein Haar verwenden“, schwärmte Fanny, die nach einem Blick in den mit Regenwolken verhangenen Himmel ihren Schritt beschleunigte.
„Hm, das ist eine gute Idee“, murmelte Julia, die in Gedanken aber nicht ganz bei der Sache war.
Als sich schließlich ihre Wege trennten, bat sie Fanny:
„Kannst du mir später Robby noch einmal vorbeischicken? Ich habe eine kleine Aufgabe für ihn.“
„Ich schicke ihn dir lieber gleich. Es sieht so aus, als ob ein Unwetter aufzieht.“
Tatsächlich hatte sich der Wind bereits deutlich verstärkt und wehte den beiden Frauen die Haare ins Gesicht. Julia fröstelte es und sie raffte ihren Umhang fester um sich. Am Himmel über ihr zog ein Falke auf weiten
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