Mitternachtsfalke - Auf Den Schwingen Der Liebe
schade nur, dass sie in letzter Zeit so wenig zu lachen hatte. Stattdessen hatten ihre Lippen schon wieder diesen verkniffenen Zug angenommen. Oh, zur Hölle mit diesem Gregory, dachte Julia. Jetzt stahl er ihr auch noch das Lächeln! Wütend strich sie sich die Falten aus dem azurblauen Kleid und wollte schon den Raum verlassen, als ihr noch ein Gedanke kam. Schnell kehrte sie zu ihrer Frisierkommode zurück, öffnete eine Schublade und entnahm eine Schatulle. Unter Dutzenden Haarnadeln fand sie, wonach sie gesucht hatte. Ein kleiner gefalteter Zettel. Schnell schob sie die Nadeln zurück in die Schatulle und verstaute diese an ihrem angestammten Platz. Zielstrebig ging sie zum Kamin und warf den Zettel hinein. Erst als die Flammen sich durch das Papier fraßen, verließ sie ihr Zimmer.
Kapitel 5
„Mach dir keine Sorgen Loraine. Es wird Amy schon bald wieder besser gehen“, beruhigte Fanny die besorgte Mutter. Julia hatte ihre Freundin zu diesem Krankenbesuch begleitet, denn sie wollte sich selbst vom Zustand der kleinen Patientin überzeugen.
Aufgrund der Missernten der letzten Jahre ging es den Menschen rund um Stonehaven besonders schlecht. In einem Sommer hatte eine Dürre die halbe Ernte vernichtet und im Jahr darauf hatte es so viel geregnet, dass die Ähren noch auf dem Feld verfault waren. Die Leute hungerten und litten außerdem unter Lord Hayes Gleichgültigkeit. Dabei waren die Bedingungen in den letzten Jahren immer härter geworden. Geschwächt durch die schlechte Ernährung brachen immer häufiger Krankheiten aus und erst kürzlich war ein Kind gestorben.
Darum empfand Julia es als ihre Pflicht, sich zumindest um den Gesundheitszustand der Lehnsleute zu sorgen. Die Edleys betrieben einen Laden für Bekleidung und Stoffe. Früher hatten wundervolle bunte Bänder und glänzende Stoffe das große Schaufenster geziert, doch in Zeiten wie diesen konnte sich kaum mehr einer diesen Luxus leisten. Das Geschäft lief schlecht. Loraine und ihr Mann Tom lebten gerade so von der Hand in den Mund. Teure Medikamente, die es in London zu kaufen gab, konnten sie sich beim besten Willen nicht leisten. Zum Glück hatte ihnen Fanny einen Sud aus Spitzwegerich und Salbeiblättern gekocht, der den schlimmen Husten und die Halsschmerzen der kleinen Amy lindern sollte.
„Gebt ihr dreimal täglich einen Löffel von dem Sud und reibt ihr vor dem Schlafengehen die Brust mit dieser Salbe ein.“
Obwohl Fanny oft die Ablehnung der Frauen aus dem Ort zu spüren bekam, würde sie niemals einem Kranken ihre Hilfe verweigern. Sie drückte der übermüdeten Mutter den Tiegel mit der Salbe in die Hand und strich dem kranken Mädchen sanft durchs Haar.
„Danke Fanny.“
Mit einem lauten Rattern öffnete Tom die Kasse in der gähnende Leere herrschte, und holte einen angelaufenen Penny hervor.
Schnell ging Julia dazwischen.
„Lass gut sein, Tom. Ich kümmere mich um die Rechnung. Das Wichtigste ist doch, dass es Amy schnell wieder besser geht.“
Tröstend legte sie dem Mann eine Hand auf die Schulter.
„Aber Lady Julia, das können wir doch nicht annehmen.“
„Keine Widerrede Tom. Die Zeiten sind für euch ohnehin schon schwer genug.“
Wie zur Bestätigung wurde Amy von einem Hustenkrampf geschüttelt. Loraine und Fanny sprachen beruhigend auf das weinende Kind ein.
Tom schüttelte resigniert den Kopf.
„Danke Lady Julia. Ihr seid wirklich großzügig. Schlimm genug, dass ich kaum noch meine Familie ernähren kann, und jetzt auch noch diese Sondersteuer. Da muss ich jeden Penny dreimal umdrehen.“
„Was habt Ihr gerade gesagt? Welche Steuer?“, hakte Julia nach.
Mit hochrotem Kopf entschuldigte Tom seinen Gefühlsausbruch und strich mit seinen Fingern dabei wieder und wieder über den Penny.
„Tut mir leid, ich wollte sicher nicht klagen. Und natürlich wissen wir, dass die Jagd nach dem Falken finanziert werden muss. Es steht mir auch ganz bestimmt nicht zu, die Entscheidung Eures Vaters infrage zu stellen, also bitte entschuldigt mein Verhalten. Es ist nur so, dass mich die Sorge um Amy selbst schon ganz krank macht.“
„Herrgott Tom. Davon rede ich doch gar nicht! Ich will wissen, was es mit dieser Steuer auf sich hat. Mir ist davon nichts bekannt.“
Vor lauter Wut hatte sich Julias Gesicht dunkelrot verfärbt und sie stapfte in dem kleinen Laden umher.
„Nun, die Männer Eures Verlobten kamen in jedes Haus und forderten eine einmalige Sondersteuer, um die Jagd nach dem Mitternachtsfalken zu
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