Mitternachtsfalke - Auf Den Schwingen Der Liebe
etwa unterbrochen? Was ist denn los, Ihr seht so ernst aus?“
„Nichts, mein Herz. Eure Mutter ist nur etwas nervös wegen unserer Verlobung. Besser ich reite ihr nach und beruhige sie.“
Etwa eine Stunde später war er vollkommen verstört zum Herrenhaus zurückgekehrt und hatte berichtet, Sophia tot im Wald gefunden zu haben. Augenscheinlich hatte sie sich den Kopf an einem Ast gestoßen und war so unglücklich vom Pferd gefallen, dass ihr Genick gebrochen war.
Und obwohl Julia das Verhalten ihrer Mutter damals etwas merkwürdig vorgekommen war, hatte sie nie an Gregorys Schilderung der Geschehnisse gezweifelt. Vielleicht hatten die Trauer und der Schmerz ihr aber auch den Blick getrübt.
Heute sah sie mit einem Mal klar. Alles passte perfekt zusammen. Und dennoch brachte sie es nicht über sich, ihrem Vater ohne einen einzigen Beweis von ihrem Verdacht zu erzählen. Vermutlich würde der Verrat, den Greg begangen hatte, Nathan in einen Abgrund stürzen. Immerhin liebte er ihn wie seinen eigenen Sohn. Es war besser, er würde es von Greg selbst erfahren.
Trotzdem fühlte sie sich in dieser Nacht so frei wie lange nicht mehr. Für sie stand fest: Eine Ehe mit Gregory Gisbourne würde es nicht geben. Aber half ihr das etwas? Nein. Sie würde dennoch ihr Glück nicht zu fassen bekommen, denn es hatte einen Namen: Drew Warring.
Und den konnte sie nicht haben. Niemals würde ihr Vater einer Verbindung mit dem Kopfgeldjäger zustimmen. Es wäre das Beste, wenn sie Drew niemals wieder sehen würde. Dass ihr bei dieser Vorstellung bereits jetzt das Herz brach, versuchte Julia nicht zu beachten und zog sich stattdessen die Decke bis über den Kopf, um ihre Tränen selbst vor dem Dunkel der Nacht zu verbergen.
„Endlich ist die ganze Sache mit dem Schmuggler abgeschlossen“, berichtete Nathan den Damen beim Frühstück.
„Der König schickt Richter Arthur Cox, der den Gefangenen befragen, abholen und sicher nach London überführen wird.“
Erleichtert atmete Olivia aus. Julia dagegen hob erschrocken den Kopf.
„Aber Vater, ich bin mir, was die Schuld des Gefangenen angeht, überhaupt nicht sicher. Was, wenn er unschuldig ist?“
„Das ist er nicht. Greg hat die Gerüchte überprüft und mir versichert, wir hätten den richtigen Mann. Und wenn nicht, dann wird der Richter es sicherlich herausfinden.“
„Wann wird Richter Cox denn erwartet?“
„Ich rechne bereits morgen mit seiner Ankunft. So lange bleibt dieser Warring im Verlies.“
„Du hast natürlich Recht, Vater“, murmelte Julia wenig überzeugt vor sich hin.
Ihre Gedanken waren längst bei ihrem Plan von gestern angelangt. Vielleicht spielte ihr die Sache mit dem Richter sogar in die Hände. So gelassen wie möglich beendete sie ihr Frühstück und trieb mit ihrer Tante noch etwas höfliche Konversation, ehe sie sich schließlich erhob.
„Vater, Olivia, ich fühle mich etwas unwohl. Hoffentlich habe ich mir bei dem strömenden Regen gestern keine Erkältung eingefangen. Ich werde mich etwas zurückziehen.“
Obwohl der Wind die wohlige Wärme des Feuers aus Julias Gemächern vertrieb, hielt sie die Fenster weit geöffnet. Schnell zogen die Wolken am Himmel vorüber. Graue Berge, die so gut zu ihrer Stimmung passen wollten. Ihr Blick ruhte auf den Stallungen. So nah und doch so unerreichbar. Was Drew wohl gerade denken mochte? Ob er ihr noch immer böse war? Ob er es inzwischen vielleicht schon bereute, sich erneut mit ihr eingelassen zu haben? Er hatte ihr seine Liebe gestanden. Und sie hatte ihn abgewiesen. Sicherlich verfluchte er längst den Tag, an dem er sich auf die Jagd nach dem Mitternachtsfalken gemacht hatte.
Der Anflug ihres Vogels riss Julia aus ihren düsteren Gedanken. Der Falke landete sicher auf dem Fenstersims und reckte ihr seinen Kopf entgegen. Sie streichelte sein Gefieder und flüsterte Koseworte. Ohne es zu wollen, wanderte ihr Blick erneut zum Stall. Vor der großen Scheune trat gerade Haribert nach einer streunenden Katze. Das Tier ergriff fauchend die Flucht und der Falke schreckte auf und schwang sich in den Himmel empor. Julia überlegte schon, ob sie gegen diese Quälerei protestieren sollte, als Gregory ebenfalls im Hof erschien. Die beiden Männer steckten sofort ihre Köpfe zusammen und missmutig schloss Julia ihr Fenster. Sie konnte nicht einmal mehr den Anblick ihres Verlobten ertragen.
„Hör zu,“, erklärte Gregory seinem Gefolgsmann, „ich habe mit Nathan gesprochen, aber der stellt sich
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