Mitternachtsfalken: Roman
hübsche Frau um die dreißig, nicht dick, aber wohlgerundet. Ihre Kleidung war ebenso elegant wie zweckmäßig: Rock und Bluse zu flachen Schuhen, und auf dem Kopf eine himmelblaue Baskenmütze über blonden Locken. Da sie keine Uniform trug, hielt Harald sie für eine Kriminalbeamtin. Sie hatte eine Schultertasche bei sich, in der sich vermutlich eine Pistole befand.
Hansens Gesicht war von der Anstrengung, die es ihn gekostet hatte, durch das Fenster zu klettern, rot angelaufen, und er machte einen gehetzten Eindruck. Die clevere Kriminalbeamtin hielt den Dorfpolizisten sichtlich auf Trab.
Sie inspizierte als Erstes das Motorrad. »Na, da haben wir ja das gute Stück, von dem Sie mir erzählt haben. Mit einer Dampfmaschine! Genial.«
»Er muss sie hier stehen gelassen haben«, sagte Hansen, und es klang so, als wolle er sich verteidigen. Offenbar hatte er der Kripo-Beamtin erzählt, Harald sei abgereist.
»Vielleicht«, sagte sie skeptisch und ging zu dem Rolls-Royce. »Sehr schön.«
»Der gehört dem Juden.«
Sie fuhr mit dem Finger über die Rundung eines Kotflügels und besah sich den Staub. »Damit ist er aber schon seit längerem nicht mehr unterwegs gewesen.«
»Natürlich nicht – die Reifen sind doch abmontiert.« Hansen grinste selbstzufrieden – anscheinend bildete er sich ein, diesmal schneller geschaltet zu haben als Frau Jespersen.
»Das hat nicht viel zu sagen – Reifen lassen sich rasch montieren. Eine Staubschicht auf der Karosserie zu simulieren, ist schon schwieriger.«
Sie ging durch den Raum, hob das Hemd auf, das Harald vorhin erst ausgezogen hatte. Warum habe ich das bloß nicht irgendwo versteckt, dachte Harald und stöhnte innerlich auf. Frau Jespersen hielt
sich das Hemd an die Nase und schnüffelte daran.
Pinetop erschien wie aus dem Nichts und rieb seinen Kopf an Frau Jespersens Beinen. Sie beugte sich hinunter und streichelte ihn. »Was willst du denn?«, sagte sie zu dem Kater. »Dich hat wohl jemand gefüttert?«
Dieser Frau entgeht nichts, dachte Harald bestürzt. Schon hatte sie seine Schlafnische erspäht, nahm die ordentlich gefaltete Decke auf und legte sie wieder hin. »Hier wohnt jemand«, sagte sie.
»Vielleicht ein Landstreicher.«
»Vielleicht aber auch dieser gottverdammte Harald Olufsen.«
Hansen war sichtlich schockiert über die rüde Sprache.
Frau Jespersen stand inzwischen vor der Hornet Moth. »Ja, was haben wir denn da Schönes?« Verzweifelt sah Harald, wie sie die Abdeckung herunterzog. »Ich glaube fast, das ist ein Flugzeug.«
Das ist das Ende, dachte Harald. Jetzt ist alles aus.
»Ja, das gehört Duchwitz, ich erinnere mich. Er ist allerdings seit Jahren nicht mehr damit geflogen.«
»Die Maschine ist in gutem Zustand.«
»Sie hat ja gar keine Flügel!«
»Die sind zurückgeklappt – anders wäre sie ja gar nicht durchs Tor gekommen.« Frau Jespersen öffnete die Cockpittür und beugte sich hinein. Sie bewegte den Steuerknüppel und drehte sich nach dem Leitwerk um, wo sich das Höhenruder bewegte. »Die Ruder scheinen zu funktionieren.« Sie warf einen Blick auf die Benzinuhr. »Der Tank ist voll.« Sie sah sich genauer in der Kabine um und ergänzte: »Und hinter den Sitzen steht ein Zwanzig-Liter-Kanister. In der Ablage sind zwei Flaschen Wasser und ein Paket Kekse, ferner eine Axt, ein Knäuel Schnur, eine Taschenlampe und ein Atlas. Und nirgendwo ist Staub drauf.«
Sie zog ihren Kopf wieder aus dem Flugzeug und sah Hansen an. »Harald Olufsen plant einen Flug.«
»Also, da soll mich doch.«, sagte Hansen.
Harald kam der verrückte Gedanke, die beiden umzubringen. Er wusste nicht, ob er einen anderen Menschen töten konnte. Erst nach der Einsicht, dass er unmöglich zwei bewaffnete Polizeibeamte mit bloßen Händen überwältigen konnte, schlug er sich den Gedanken wieder aus dem Kopf.
Frau Jespersen wurde nun sehr bestimmt. »Ich muss nach Kopenhagen zurück«, sagte sie. »Inspektor Flemming, der die Ermittlungen in diesem Fall leitet, ist mit dem Zug dorthin unterwegs – und das bedeutet bei den derzeitigen Verhältnissen im Bahnverkehr, dass er irgendwann in den nächsten zwölf Stunden eintreffen wird. Wir kommen dann gemeinsam hierher zurück.
Wenn Olufsen hier ist, werden wir ihn verhaften, und wenn er nicht hier ist, stellen wir ihm eine Falle.«
»Und was soll ich so lange tun?«
»Hier bleiben. Suchen Sie sich einen Beobachtungsposten im Wald und behalten Sie die Kirche im Auge. Wenn Sie Olufsen sehen, sprechen Sie
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