Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
Vom Netzwerk:
ausgeschlossen, Dil und Bir scheiden für immer aus; und der Junge hört mit eigenen Ohren einen Namen, der nicht mehr ausgesprochen wurde, seit Mumtaz Aziz zu Amina Sinai wurde: Nadir. Nadir. Na. Dir. Na.
    Und ihre Hände bewegen sich. Verloren in ihren Erinnerungen an andere Zeiten, an das, was nach den Triff-den-Spucknapf-Spielen in einem Keller in Agra geschah, fliegen sie freudig über ihre Wangen, sie halten ihren Busen fester als jeder Büstenhalter, und nun liebkosen sie ihr nacktes Zwerchfell, sie verirren sich unter Deck ... ja, das haben wir immer getan, mein Liebster, es hat genügt, mir hat es genügt, obwohl mein Vater uns, und du bist weggelaufen, und jetzt das Telefon, Nadirnadirnadirnadirnadirnadir ... Hände, die das Telefon hielten, halten nun Fleisch, und was macht unterdessen eine andere Hand an einem anderen Ort? Was hat eine andere Hand, nachdem sie eingehängt hat, vor? ... Es spielt keine
Rolle, denn hier, an ihrem ausgekundschafteten stillen Ort, wiederholt Amina einen alten Namen, immer wieder, bis es schließlich aus ihr herausbricht: «Arré Nadir Khan, wo kommst du jetzt her?»
    Geheimnisse. Der Name eines Mannes. Nie-zuvor-erblickte Bewegungen der Hände. Der Kopf eines Jungen, angefüllt mit Gedanken, die keine Form haben, gequält von Vorstellungen, die sich nicht in Worte fassen lassen, und in einem linken Nasenloch schlängelt sich eine Pajamakordel immer höher und lässt sich nicht länger ignorieren...
    Und nun – O schamlose Mutter! Offenbarerin von Falschheit, von Gefühlen, die im Familienleben keinen Platz haben, und mehr: O unverfrorene Enthüllerin, welche die schwarze Mango entblößte! – treibt Amina Sinai, die sich die Augen trocknet, ein trivialeres Bedürfnis, und während das rechte Auge ihres Sohnes durch die Holzlatten in der Wäschetruhe späht, wickelt meine Mutter ihren Sari auf! Während ich, in der Wäschetruhe kauernd, lautlos rufe: «Tu’s nicht tu’s nicht tu’s nicht!» ... aber ich kann mein Auge nicht schließen. Ohne mit der Wimper zu zucken, nimmt die Pupille das verkehrt stehende Bild des zu Boden fallenden Saris auf, ein Bild, das wie üblich im Kopf umgedreht wird; durch eisblaue Augen sehe ich dem Sari einen Slip folgen, und dann – o schrecklich! – bückt meine Mutter sich, eingerahmt in Wäsche und Holzlatten, um ihre Kleider aufzuheben! Und hier ist er und versengt meine Netzhaut – der Anblick des Gesäßes meiner Mutter, schwarz wie die Nacht, rund und geschwungen und nichts auf Erden so ähnlich wie einer gigantischen schwarzen Alfonsomango! In der Wäschetruhe kämpfe ich, ganz außer mir durch den Anblick, mit mir selbst ... Selbstbeherrschung wird gleichzeitig notwendig und unmöglich ... unter dem wie der Blitz einschlagenden Einfluss der schwarzen Mango gehen mit mir die Nerven durch, die Pajamakordel erringt den Sieg, und während Amina Sinai auf dem Topf Platz nimmt ... Ich niese nicht, es war weniger als ein Niesen, aber mehr als ein Zucken, es war mehr als das. Es ist Zeit, offen zu reden: Vernichtet von einer
zweisilbigen Stimme und fliegenden Händen, zerschmettert von einer schwarzen Mango, gab die auf das offenkundige mütterliche Doppelleben reagierende und wegen der Anwesenheit des mütterlichen Gesäßes zitternde Nase Saleem Sinais einer Pajamakordel nach und wurde von einem umwälzenden – einem weltverändernden  – einem unumstößlichen Niesen ergriffen. Schmerzend steigt die Pajamakordel im Nasenloch einen Zentimeter höher. Aber auch andere Dinge steigen: Durch dieses fieberhafte Einatmen heraufgeholt, werden die Nasenflüssigkeiten unbarmherzig hoch hoch hoch gesaugt, Nasenschleim fließt nach oben, wider die Schwerkraft, wider die Natur. Nebenhöhlen werden unerträglichem Druck ausgesetzt ... bis innen in dem fastneunjahrealten Kopf etwas platzt. Rotz schießt durch einen gebrochenen Damm in dunkle, neue Kanäle. Schleim steigt höher, als Schleim je steigen sollte. Ausscheidungsflüssigkeit reicht bis, ja, vielleicht bis an die Grenzen des Gehirns ... ein Schock tritt ein. Etwas Elektrisches ist feucht geworden.
    Schmerz.
    Und dann Lärm, betäubend vielzüngig erschreckend, in seinem Kopf!  ... In einer weißen Wäschetruhe aus Holz, in dem verdunkelten Auditorium meines Schädels begann meine Nase zu singen.
    Aber im Augenblick ist keine Zeit zuzuhören, denn eine Stimme ist in der Tat sehr nahe. Amina Sinai hat die untere Tür der Wäschetruhe geöffnet, und ich purzele hinaus, die

Weitere Kostenlose Bücher