Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
begleitet von meinem kleinen Vers, kam der erste der Sprachkrawalle in Gang, wurden fünfzehn Menschen getötet und über dreihundert verletzt.
Auf diese Weise wurde ich zum unmittelbar verantwortlichen Auslöser der Gewalttätigkeit, die mit der Teilung des Staates Bombay endete, als deren Folge die Stadt die Hauptstadt von Maharashtra wurde – zumindest war ich also auf der Seite der Gewinner.
Was war da in Evies Kopf? Verbrechen oder Traum? Ich fand es nie heraus, aber etwas anderes hatte ich gelernt: Wenn man tief in den Kopf von jemand anderem eindringt, fühlt er einen dort drinnen.
Evelyn Lilith Burns wollte danach nicht viel mit mir zu tun haben, aber seltsamerweise war ich geheilt von ihr. (Immer waren es Frauen, die mein Leben verändert haben: Mary Pereira, Evie Burns, Jamila die Sängerin, Parvati-die-Hexe müssen für das, was ich bin, einstehen; und Die Witwe, die ich für den Schluss aufbewahre, und nach dem Schluss Padma, meine Dunggöttin. Frauen haben mich zwar zu dem gemacht, was ich bin, aber vielleicht haben sie nie eine zentrale Rolle gespielt – vielleicht war der Platz, den sie hätten einnehmen sollen – das Loch in meiner Mitte, das ich von meinem Großvater Aadam Aziz geerbt hatte –, zu lange von meinen Stimmen besetzt. Oder vielleicht – man muss alle Möglichkeiten bedenken – haben sie mir immer ein wenig Angst gemacht.)
Mein zehnter Geburtstag
O Herr, was gibt’s da zu sagen? Es ist alles meine eigene jämmerliche Schuld!»
Padma ist zurück. Und ist nun, da ich mich von dem Gift erholt habe und wieder an meinem Schreibtisch sitze, zu überreizt, um zu schweigen. Immer wieder züchtigt sich mein zurückgekehrter Lotos, schlägt sich auf die schweren Brüste, klagt mit voller Lautstärke. (In meinem geschwächten Zustand ist das ziemlich quälend, aber ich mache ihr keinerlei Vorhaltungen.)
«Glaub mir nur, Herr, wie sehr mir dein Wohlergehen am Herzen liegt! Was für Geschöpfe wir Frauen doch sind, haben keinen Augenblick Frieden, wenn unsere Männer krank darniederliegen ... Ich bin so froh, dass es dir wieder gut geht, du glaubst es nicht!»
Padmas Geschichte (in ihren eigenen Worten erzählt und ihr wieder vorgelesen, damit sie sie augenrollend, laut jammernd, brustschlagend bestätige): «Mein eigner dummer Stolz und meine Eitelkeit, Saleem Baba, sind der Grund, dass ich von dir weggelaufen bin, obwohl die Arbeit hier gut ist und du so dringend jemand brauchst, der auf dich aufpasst! Aber schon nach kurzer Zeit wollte ich unbedingt wieder zurückkommen.
Da hab’ ich also gedacht, wie soll ich zu diesem Mann zurückgehen, der mich nicht liebt und sich bloß mit diesem blöden Geschreibsel beschäftigt? (Vergib mir, Saleem Baba, aber ich muss die Wahrheit erzählen. Und Liebe ist für uns Frauen das Größte von allem.)
Also bin ich zu einem heiligen Mann gegangen, der mir beigebracht hat, was ich tun muss. Dann hab’ ich mit meinen paar Pico einen Bus aufs Land genommen und hab’ nach Kräutern gegraben,
mit denen deine Männlichkeit vom Schlaf erweckt werden könnte ... stell dir vor, Herr, ich hab’ gezaubert mit diesen Worten: ‹Kraut, das du von Stieren ausgerissen worden bist!› Dann hab’ ich Kräuter in Wasser und Milch gemahlen und gesagt: ‹Du zeugungstärkendes und lebensvolles Kraut! Pflanze, die du von den Gandharva für Varuna ausgegraben wurdest! Gib meinem Herrn Saleem deine Kraft. Gib ihm Hitze wie die vom Feuer Indras. Wie die männliche Antilope, o Kraut, besitzest du alle Kraft, die da ist; du besitzest die Kräfte Indras und die lebensvolle Kraft der wilden Tiere.›
Mit diesem Heilmittel bin ich zurückgekehrt, und wie immer warst du allein, und wie immer hast du die Nase in Papier gesteckt. Aber Eifersucht, das schwör’ ich, hab’ ich hinter mir gelassen; sie sitzt auf dem Gesicht und macht alt. O Gott vergib mir, unauffällig hab’ ich das Heilmittel in dein Essen getan! ... Und dann, hai-hai, mag der Himmel mir vergeben, aber ich bin eine einfache Frau, wenn heilige Männer mir etwas sagen, was soll ich dagegenhalten? ... Aber wenigstens geht’s dir jetzt besser, Gott sei Dank, und vielleicht bist du nicht böse.»
Dank Padmas Liebestrank war ich eine Woche im Delirium. Mein Dunglotos schwört (durch Zähne, die schon viel geknirscht haben), dass ich steif wie ein Brett war und Schaum vor dem Mund hatte. Fieber hatte ich auch. Im Delirium brabbelte ich von Schlangen, aber ich weiß, dass Padma keine Schlange ist
Weitere Kostenlose Bücher