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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Morgenversammlung bekannt gegeben, dass der Kirchenbesuch ausfalle. Mit nackichter, kratziger Stimme, die aus seinem Gesicht
hervortönte, dem Gesicht eines betäubten Frosches, verurteilte er uns zu doppelter Geographie und Pagal-Zagal und überraschte uns damit alle, denn uns war nicht klar gewesen, dass es auch Gott gestattet war, eine Wahl zu treffen. Verdrossen trotteten wir in Zagallos Höhle; einer der armen Idioten, denen die Eltern nie erlaubten, in die Kathedrale zu gehen, flüsterte mir boshaft ins Ohr: «Wartet bloß ab, heute kriegt er euch Kerle wirklich dran.»
    Padma: er tat es wirklich.
    Trübsinnig sitzen in der Klasse: Glandy Keith Colaco, Fat Perce Fishwala, Jimmy Kapadia der Stipendiat, dessen Vater Taxifahrer war, Haaröl Sabarmati, Sonny Ibrahim, Cyrus-der-Große und ich. Auch andere, aber jetzt ist keine Zeit mehr, denn mit Augen, die sich vor Entzücken verengen, ruft der verrückte Zagallo uns zur Ordnung. «Mänschliche Geographie», kündigt Zagallo an. «Das ist was? Kapadia?»
    «Bitte Sir weiß nicht Sir.» Hände fliegen in die Luft – fünf gehören Idioten, die vom Kirchgang ausgeschlossen sind, die sechste, wie nicht anders zu erwarten, Cyrus-dem-Großen. Aber Zagallo will heute Blut sehen: Die Gottesfürchtigen werden leiden. «Schmotz aus dem Dschongel.» Er knufft Jimmy Kapadia und beginnt dann beiläufig ein Ohr zu verdrehen. «Wänn ihr euch ab ond zu im Onterricht blicken lassen würdet, dann wüsstet ihr’s.»
    «Au au au ja Sir Entschuldigung Sir ...» Sechs Hände winken, aber Jimmys Ohr ist in Gefahr abzugehen. Heldenmut gewinnt die Oberhand in mir ... «Sir bitte hören Sie auf Sir er hat ein Herzleiden Sir!» Das ist wahr, aber die Wahrheit ist gefährlich, denn nun fährt Zagallo mich an: «So, ein kleinär Streithammäl, nicht wahr?» Und ich werde an den Haaren vor die Klasse geführt. Unter den erleichterten Blicken meiner Mitschüler – Gott sei Dank ist es er und nicht wir – winde ich mich vor Schmerzen unter gefangenen Haarbüscheln.
    «Also beantworte die Frage. Do weißt, was mänschliche Geographie ist?»
    Schmerz erfüllt meinen Kopf und wischt jeglichen Gedanken an telepathisches Mogeln weg: «Au Sir nein Sir aua!»
    ... Und nun kann man beobachten, wie Zagallo eine Eingebung überkommt, ein witziger Einfall, der sein Gesicht zum Abklatsch eines Lächelns verzieht; man kann sehen, wie seine Hand mit ausgestrecktem Daumen-und-Zeigefinger nach vorne schießt, bemerken, wie Daumen-und-Zeigefinger sich um meine Nasenspitze schließen und abwärts ziehen ... wo die Nase hinführt, muss der Kopf folgen, und schließlich hängt die Nase herab, und meine Augen sind gezwungen, feucht auf Zagallos in Sandalen steckende Füße mit schmutzigen Zehennägeln zu starren, während Zagallo seinen Witz entfesselt.
    «Säht, Jongens – ihr säht, was wir hier haben? Beachtet bitte das entsätzliche Gesicht diesär primitivän Kreatur. Es erinnert euch an was?»
    Und die eifrigen Antworten: «Sir an den Teufel Sir.» «Bitte Sir an einen Vetter von mir!» «Nein Sir an ein Gemüse Sir ich weiß nicht welches.» Bis Zagallo den Tumult übertönt: «Ruhä! Affensöhne! Diesäs Objekt hier» – er zieht an meiner Nase –, «das ist mänschliche Geographie!»
    «Wie Sir wo Sir was Sir?»
    Zagallo lacht nun. «Das säht ihr nicht?», wiehert er. «Im Gesicht diesäs hässlichen Affän erkännt ihr nicht die ganze Karte Indiens ?»
    «Ja Sir nein Sir zeigen Sie’s uns Sir!»
    «Säht hier – die Halbinsel Dekkan hängt hinonter!» Wieder Auameinenase.
    «Sir Sir wenn das die Karte von Indien ist was sind dann die Flecken Sir?» Das ist Glandy Keith Colaco, der sich kühn vorkommt. Kichern und Prusten vonseiten meiner Kameraden. Und Zagallo meistert die Hürde mühelos: «Diese Fläcken», schreit er, «sind Pakistan! Diesäs Mottärmal auf dem rächtän Ohr ist der Ostflügel und diese entsätzliche befläckte linke Wange der Wästen. Denkt daran, domme Jongens: Pakistan ist ein Fläck auf dem Angesicht Indiens!»
    «Hoho», lacht die Klasse. «Absolut klasse Witz, Sir!»
    Aber nun hat meine Nase genug; sie setzt ihren eigenen spontanen Aufstand gegen den zupackenden Daumen-und-Zeigefinger in Szene und setzt eine eigene Waffe in Gang ... ein großer Tropfen glänzenden Schleims tritt aus dem linken Nasenloch aus und plumpst in Herrn Zagallos Handfläche. Fat Perce Fishwala brüllt: «Sehensiesichdasan, Sir! Der Tropfen aus seiner Nase, Sir! Soll das Ceylon

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