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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Königskobra sich mit einer Frau paarte, die einem menschlichen (doch zugleich schlangenähnlichen) Kind das Leben schenkte ... es scheint, dass ich mein Leben lang immer nur um eine Ecke biegen musste, um in weitere neue und sagenhaft verwandelte Welten zu purzeln. Steigen Sie eine Leiter (oder auch eine Treppe) hoch, und Sie finden eine Schlange, die Sie erwartet.
    Die Vorhänge waren immer zugezogen, in Schaapstekers Räumen ging die Sonne weder auf noch unter, und es tickten keine Uhren. War es der Dämon oder unser gemeinsames Gefühl der Einsamkeit, das uns gegenseitig anzog? ... Denn in jenen Tagen, da sich der Aufstieg des Äffchens und der Niedergang der Konferenz anbahnten, begann ich, wann immer möglich, die Treppen hinaufzusteigen und den Phantastereien des verrückten, zischenden Alten zuzuhören.
    Als ich das erste Mal in seinen unverschlossenen Unterschlupf stolperte, begrüßte er mich: «So, Kind – du hast dich also vom Typhus erholt.» Der Satz rührte die Zeit wie eine träge Staubwolke auf und vereinigte mich wieder mit meinem einjährigen Ich; ich erinnerte mich an die Geschichte von Schaapsteker, der mir mit Schlangengift das Leben gerettet hatte. Und danach saß ich während mehrerer Wochen zu seinen Füßen, und er offenbarte mir die Kobra, die zusammengerollt in mir lag.
    Wer zählte, mir zu Nutz und Frommen, die okkulten Kräfte von Schlangen auf? (Ihr Schatten tötet Kühe; wenn sie im Traum eines Mannes auftreten, empfängt seine Frau; werden sie umgebracht, bleibt der Familie des Mörders zwanzig Generationen lang männliche Nachkommenschaft versagt.) Und wer beschrieb mir – mit Hilfe von Büchern und ausgestopften Kadavern – die natürlichen Widersacher der Kobra? «Erforsche deine Feinde, Kind», zischte er,
«sonst bringen sie dich mit Sicherheit um.» ... Zu Schaapstekers Füßen studierte ich den Mungo und den Eber, den Adjutanten mit dem Dolchschnabel und den Barasingahirsch, der Schlangenköpfe mit dem Fuß zertritt, und die Pharaonsratte und den Ibis, den über einen Meter großen furchtlosen und krummschnäbligen Sekretär, dessen Aussehen und Name mich zu verdächtigen Gedanken bezüglich der Alice Pereira meines Vaters anregten, und den Schakalbussard, die Zibetkatze, den Honigdachs aus den Bergen, den Erdkuckuck, das Pekari und den gewaltigen Cangambavogel. Schaapsteker unterwies mich aus den Tiefen seiner Senilität in den Dingen des Lebens. «Sei weise, Kind. Sei klug wie die Schlange. Sei verschwiegen, greife aus der Deckung eines Busches an.»
    Einmal sagte er: «Betrachte mich als einen weiteren Vater. Habe ich dir nicht dein Leben geschenkt, als es verloren war?» Mit dieser Bemerkung bewies er, dass er ebenso unter meinem Bann stand wie ich unter dem seinen; er hatte akzeptiert, dass auch er einer in der endlosen Reihe von Eltern war, denen das Leben zu schenken ich allein die Macht hatte. Und obwohl ich nach einer Weile die Luft in seinen Gemächern zu bedrückend fand und ihn einmal mehr der Einsamkeit überließ, aus der er nie wieder aufgestört werden sollte, hatte er mir gezeigt, wie man vorgehen musste. Vom zweiköpfigen Dämon meiner Rache verzehrt, benutzte ich (zum ersten Mal) meine telepathischen Fähigkeiten als Waffe, und auf diese Weise entdeckte ich Näheres über die Beziehung zwischen Homi Catrack und Lila Sabarmati. Lila und Pia waren von Anfang an Rivalinnen gewesen: Stets war es darum gegangen, wer die Schönere von beiden sei; die Frau des designierten Erben des Titels «Admiral der Flotte» war die neue Geliebte des Filmmagnaten geworden. Während Fregattenkapitän Sabarmati zu Manövern auf See war, führten Lila und Homi bestimmte eigene Manöver aus; während der Löwe der Meere den Tod des damaligen Admirals erwartete, trafen auch Homi und Lila eine Verabredung mit dem Sensenmann (mit meiner Hilfe).
    «Sei verschwiegen», sagte Scharfstecher Sahib; verschwiegen spionierte ich meinem Feind Homi und der Männer wechselnden Mutter von Schlitzauge und Haaröl nach (die seit kurzem sehr von sich eingenommen waren, seit die Zeitungen tatsächlich verkündet hatten, dass die Beförderung von Fregattenkapitän Sabarmati eine reine Formsache sei; nur eine Frage der Zeit ... ). «Liederliche Frau», flüsterte der Dämon in mir leise, «die du die schlimmste aller mütterlichen Treulosigkeiten verübst. Wir werden ein schreckliches Exempel an dir statuieren; an dir werden wir zeigen, welches Schicksal die Wollüstigen erwartet. O unachtsame

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