Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Zum Schluss war ich gezwungen, meine Wörter noch einmal in kleinen Stücken zu finden: TOD AUF DEM SÜD-COL: SHERPA STÜRZT AB versorgte mich mit dem dringend benötigten «COL»; «ABA» war jedoch schwer zu finden und tauchte schließlich in einer Kinoanzeige auf. -ALI-BABA: SIEBZEHNTE SUPERKOLOSSALE WOCHE – MASSENHAFTE VORBESTELLUNGEN!... Es waren die Tage, in denen Scheich Abdullah, der Löwe von Kaschmir, einen Feldzug für eine Volksabstimmung in seinem Staat durchführte, um dessen Zukunft festzulegen; durch seinen Mut fand ich in der Schlagzeile ABDULLAHS
AUFSTACHELUNG GRUND FÜR SEINE NEUERLICHE VERHAFTUNG, SAGT REGIERUNGSSPRECHER die Buchstaben für «CAUSE». Damals verkündete auch Acharya Vinobha Bhave, der in seiner Bhoodan-Kampagne zehn Jahre damit verbracht hatte, Grundbesitzer zu überreden, den Armen Land zu schenken, dass die Schenkungen die Million-Morgen-Grenze überschritten hatten, und startete zwei neue Kampagnen, in denen er dazu aufforderte, ganze Dörfer («gramdan») und die eigene Lebensenergie («jivandan») herzugeben. Als J. P. Narayan ankündigte, er werde sein Leben Bhaves Werk widmen, gab mir die Überschrift NARAYAN FOLGT BHAVES WEG mein lang gesuchtes «WAY». Nun brauchte ich nur noch ein abschließendes Fragezeichen und fand es am Ende der Frage, die in jenen seltsamen Tagen unaufhörlich gestellt wurde: WER KOMMT NACH NEHRU?
In der Abgeschiedenheit eines Badezimmers klebte ich meine fertige Mitteilung – mein erster Versuch, die Geschichte neu zu ordnen – auf ein Blatt Papier; schlangengleich bewahrte ich das Dokument in meiner Tasche auf wie Gift in einer Drüse. Durchtrieben richtete ich es so ein, dass ich einen Abend mit Haaröl und Schlitzauge verbrachte. Wir spielten das Spiel «Mord im Dunkel» ... Während eines Mordspiels schlüpfte ich in Fregattenkapitän Sabarmatis Schrank und schob mein todbringendes Sendschreiben in die Innentasche seiner Ersatzuniform. In jenem Augenblick (warum sollte ich es verhehlen?) empfand ich das Entzücken der Schlange, die ihr Ziel trifft und spürt, wie ihre Giftzähne in die Ferse ihres Opfers eindringen ...
FREGATTENKAPITÄN SABARMATI
(lautete meine Mitteilung)
WARUM GEHT IHRE FRAU AM SONNTAGMORGEN ZUM COLABA CAUSEWAY?
Nein, ich bin nicht mehr stolz auf das, was ich tat, aber bedenken Sie, dass mein Rachedämon zwei Köpfe hatte. Indem ich die Untreue Lila Sabarmatis entlarvte, hoffte ich, meiner Mutter gleichfalls einen heilsamen Schock zu versetzen. Zwei Fliegen mit einer Klappe; zwei bestrafte Frauen sollte es geben, aufgespießt auf den beiden Giftzähnen meiner gespaltenen Schlangenzunge. Es ist nicht falsch, wenn man sagt, dass die Anfänge dessen, was als Sabarmati-Affäre bekannt wurde, in Wirklichkeit in einem schmuddeligen Café im Norden der Stadt lagen, wo ein blinder Passagier einem Ballett kreisender Hände zusah.
Ich war verschwiegen, ich griff aus der Deckung eines Busches an. Was trieb mich dazu? Hände im Café Pionier, falsch verbundene Anrufer am Telefon. Mitteilungen, die mir auf Balkonen zugesteckt und die unter dem Schutz von Betttüchern weitergereicht wurden, die Heuchelei meiner Mutter und Pias untröstlicher Schmerz: «Hai! Ai- hai! Ai-hai -hai» ... Mein Gift war langsam, doch drei Wochen später tat es seine Wirkung.
Später kam heraus, dass Fregattenkapitän Sabarmati, nachdem er meine anonyme Mitteilung erhalten hatte, den ruhmreichen Dom Minto, Bombays berühmtesten Privatdetektiv, engagiert hatte. (Minto, alt und nahezu lahm, hatte mittlerweile seine Tarife gesenkt.) Er wartete, bis er Mintos Bericht erhielt. Und dann:
An jenem Sonntagmorgen saßen sechs Kinder im Metro-Kinderklub in einer Reihe und sahen Francis, das redende Maultier, und das Geisterhaus. – Sie sehen, ich hatte ein Alibi, ich kam noch nicht einmal in die Nähe vom Schauplatz des Verbrechens. Wie Sin, der Sichelmond, wirkte ich aus der Ferne auf die Gezeiten der Welt ein ... während ein Maultier auf der Leinwand redete, besuchte Fregattenkapitän Sabarmati das Marinearsenal. Er quittierte einen guten, langnasigen Revolver und Munition. In der linken Hand hielt er ein Stück Papier, auf dem in der sauberen Handschrift eines Privatdetektivs eine Adresse stand, in der rechten hielt er den
Revolver gepackt. Mit dem Taxi kam der Fregattenkapitän am Colaba Causeway an. Er bezahlte den Fahrer, ging mit dem Revolver in der Hand eine enge Gasse hinunter, an Marktständen mit Hemden und
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