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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Spielwarengeschäften vorbei, und stieg die Treppe eines Apartmentblocks hoch, der etwas zurückgesetzt am hinteren Ende eines ausbetonierten Hofes stand. Er klingelte an der Tür von Apartment 18 C; das hörte in 18 B ein anglo-indischer Lehrer, der private Lateinstunden gab. Als Fregattenkapitän Sabarmatis Frau Lila die Tür aufmachte, schoss er ihr aus nächster Nähe zweimal in den Bauch. Sie fiel nach hinten; er marschierte an ihr vorbei und fand Herrn Homi Catrack vor, der sich, ohne sich den Hintern abzuputzen, von der Toilette erhob und wie von Sinnen an seiner Hose zog. Fregattenkapitän Vinoo Sabarmati schoss ihm einmal in die Geschlechtsteile, einmal ins Herz und einmal durch das rechte Auge. Der Revolver war nicht schallgedämpft, und als er aufhörte zu sprechen, herrschte ungeheure Stille in der Wohnung. Herr Catrack setzte sich, nachdem er erschossen worden war, auf die Toilette und schien zu lächeln.
    Fregattenkapitän Sabarmati ging mit dem rauchenden Revolver in der Hand aus der Wohnung (er wurde durch einen Türspalt von dem entsetzten Lateinlehrer gesehen), er schlenderte über den Colaba Causeway, bis er einen Verkehrspolizisten auf seinem kleinen Podest sah. Fregattenkapitän Sabarmati sagte zu dem Polizisten: «Ich habe gerade meine Frau und ihren Liebhaber mit diesem Revolver getötet; ich ergebe mich ... Aber er hatte mit dem Revolver vor der Nase des Polizisten hin und her gefuchtelt; der Beamte ängstigte sich so, dass er seinen Stab, mit dem er den Verkehr regelte, fallen ließ und floh. Fregattenkapitän Sabarmati, allein gelassen auf dem Podest des Polizisten und inmitten des plötzlichen Verkehrschaos, begann die Autos zu dirigieren und benutzte den rauchenden Revolver dabei als Stab. In dieser Haltung fand ihn das Aufgebot von zwölf Polizisten vor, das zehn Minuten später eintraf, ihn mutig ansprang, an Händen und Füßen ergriff und ihm den ungewöhnlichen
Stab wegnahm, mit dem er zehn Minuten lang fachmännisch den Verkehr geregelt hatte.
    In einer Zeitung hieß es über die Sabarmati-Affäre: «Das ist ein Schauspiel, in dem Indien entdecken wird, was es war, was es ist und was es sein wird.» ... Aber Fregattenkapitän Sabarmati war nur eine Marionette; ich war der Puppenspieler, und die Nation spielte mein Stück – bloß hatte ich es nicht so gemeint! Ich hatte nicht geglaubt, er würde ... Ich wollte nur ... ein Skandal, ja, ein Schreck, eine Lektion für alle ungetreuen Ehefrauen und Mütter, aber nicht das, nein, nie.
    Entsetzt über das, was durch meine Tat ausgelöst worden war, ritt ich die turbulenten Gedankenwellen der Stadt ... im Allgemeinen Parsenkrankenhaus sagte ein Arzt: «Begum Sabarmati wird überleben, aber sie wird darauf achten müssen, was sie isst.» ... Homi Catrack aber war tot ... und wer wurde als Verteidiger bestellt? – Wer sagte: «Ich werde ihn kostenlos, umsonst und unentgeltlich verteidigen»? – Wer, der einst den Einfrierungsfall gewonnen hatte, trat nun für den Fregattenkapitän ein? Sonny Ibrahim sagte: «Wenn ihn irgendeiner freikriegt, dann mein Vater.»
    Fregattenkapitän Sabarmati war der beliebteste Mörder in der Geschichte der indischen Rechtsprechung. Ehemänner begrüßten seine Bestrafung einer vom Wege abgekommenen Frau; treue Frauen fühlten sich in ihrer Treue bestätigt. In Lilas eigenen Söhnen fand ich folgende Gedanken. «Wir wussten, dass sie so war. Wir wussten, ein Marineoffizier würde das nicht hinnehmen.» Ein Kolumnist, der in der Illustrated Weekly of India ein Porträt zu der vierfarbig gedruckten Karikatur von Fregattenkapitän Sabarmati als «Persönlichkeit der Woche» schrieb, sagte: «Im Fall Sabarmati verbinden sich die edlen Gefühle des Ramajana mit dem billigen Melodrama des Bombay-Films; doch stimmen alle überein, dass der Protagonist ein aufrichtiger Mann ist, und unbestreitbar ist er ein attraktiver Mann.»
    Meine Rache an meiner Mutter und an Homi Catrack hatte eine
nationale Krise herbeigeführt ... denn die Vorschriften der Marine setzten fest, dass kein Mann, der in einem Zivilgefängnis gewesen war, zum Rang eines Admirals der Flotte aufsteigen konnte. Deshalb verlangten Admiräle und Stadtpolitiker und natürlich Ismail Ibrahim: «Fregattenkapitän Sabarmati muss in einem Marinegefängnis bleiben. Er ist unschuldig, solange er nicht für schuldig befunden wird. Seine Laufbahn darf nicht ruiniert werden, wenn es irgend vermieden werden kann.» Und die Behörden: «Ja.» Und

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