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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Krieges mit analytischem, unvoreingenommenem Auge untersuchen. Sogar Enden haben Anfänge; alles muss
der Reihe nach erzählt werden. (Ich habe schließlich Padma, die alle meine Versuche, das Pferd beim Schwanz aufzuzäumen, zunichte macht.) Am 8. August 1965 hatte meine Familiengeschichte sich in eine Lage gebracht, in der Das-was-durch-Bombenmuster-erreichtwurde sich als barmherzige Erlösung erwies. Nein, lassen Sie mich den gewichtigen Satz aussprechen: Wenn wir gereinigt werden sollten, bedurfte es wahrscheinlich eines Mittels von der Größenordnung dessen, was dann folgte.
    Alla Aziz, übersättigt von ihrer schrecklichen Rache; meine Tante Emerald, verwitwet und aufs Exil wartend; die hohle Laszivität meiner Tante Pia und der Rückzug meiner Großmutter Naseem Aziz ins Glashäuschen; mein Vetter Zafar mit seiner ewig Kind bleibenden Prinzessin und einer Zukunft als bettnässender Gefängnisinsasse; der Rückzug meines Vaters ins Kindische und das spukhaft beschleunigte Altern Amina Sinais ... all diese schrecklichen Zustände sollten dadurch kuriert werden, dass die Regierung meinen Traum vom Besuch Kaschmirs übernahm. In der Zwischenzeit hatten die unerbittlichen Weigerungen meiner Schwester, meiner Liebe ihre Gunst zu erweisen, mich in eine zutiefst fatalistische Geistesverfassung getrieben; da mir meine Zukunft mittlerweile einerlei war, sagte ich Onkel Puffs, dass ich bereit sei, jede der Puffias zu heiraten, die er für mich auswählte. (Indem ich das tat, verurteilte ich sie alle zum Untergang; jeder, der versucht, sich mit den Geschicken unseres Hauses zu verbinden, teilt am Ende auch unser Schicksal.)
    Ich will versuchen, nicht mehr in Rätseln zu sprechen. Es ist wichtig, sich auf stichhaltige, unumstößliche Fakten zu konzentrieren. Aber welche Fakten? Überschritten pakistanische Truppen in Zivil eine Woche vor meinem achtzehnten Geburtstag, am 8. August, die Waffenstillstandslinie in Kaschmir, und drangen sie in den indischen Sektor ein oder nicht? In Delhi gab Ministerpräsident Shastri bekannt, es handle sich um eine «Masseninvasion ... mit dem Ziel, den Staat zu zerrütten»; doch hier kontert Zulfikar
Ali Bhutto, Pakistans Außenminister: «Wir erklären nachdrücklich, dass wir uns in keiner Weise in den Aufstand des autochthonen Volkes von Kaschmir gegen die Tyrannei einmischen.»
    Wenn es doch geschah, was waren dann die Motive? Wieder eine Sturzflut möglicher Erklärungen: der anhaltende Zorn, der durch den Vorfall im Ran von Kutch geweckt worden war; der Wunsch, ein für alle Mal den alten Streit um den Besitz des Vollkommenen Tals zu regeln? ... Oder eine, die nicht in den Zeitungen stand: der Druck der innenpolitischen Probleme in Pakistan – die Regierung Ayub wankte, und zu solchen Zeiten wirkt ein Krieg Wunder. War das der Grund oder dieser oder jener? Um die Sache zu vereinfachen, führe ich zwei eigene an: Der Krieg ereignete sich, weil ich Kaschmir in die Traumvorstellungen unserer Führer träumte; überdies war ich immer noch unrein, und der Krieg sollte mich von meinen Sünden erlösen. Jehad, Padma! Heiliger Krieg!
    Doch wer griff an? Wer verteidigte sich? An meinem achtzehnten Geburtstag handelte sich die Wirklichkeit erneut eine schreckliche Tracht Prügel ein. Von den Schutzwällen des Roten Forts in Delhi sandte ein Ministerpräsident (nicht der, der mir vor langer Zeit einen Brief geschrieben hätte) mir diesen Geburtstagsgruß: «Wir geloben, dass der Gewalt mit Gewalt begegnet werden wird, und nie werden wir zulassen, dass die Aggression gegen uns Erfolg hat!» Während mich in Guru Mandir Jeeps mit Lautsprechern grüßten und mir versicherten: «Die indischen Aggressoren werden geschlagen werden! Wir sind eine Kriegerrasse. Ein Pathane, ein Moslem aus dem Pandschab ist zehnmal so viel wert wie einer von diesen bewaffneten Babus!»
    Jamila die Sängerin wurde in den Norden gerufen, um unseren zehnmal so viel werten Burschen ein Ständchen zu bringen. Ein Diener malt die Fensterscheiben schwarz an; nachts öffnet mein Vater in der Torheit seiner zweiten Kindheit die Fenster und schaltet das Licht ein. Ziegel und Steine fliegen durch die Öffnungen: die Geschenke zu meinem achtzehnten Geburtstag. Und die Ereignisse
werden immer noch komplizierter: Überquerten indische Truppen am 30. August die Waffenstillstandslinie bei Uri, «um pakistanische Überfallkommandos zu verjagen» – oder um einen Angriff einzuleiten? Als unsere zehnmal besseren Soldaten am I.

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