Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Schweiß und Gestank, als versuchte ich, mein Schicksal durch meine Poren zu vergießen; und um meinem Zorn Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muss ich festhalten, dass er eine augenblicklich erfolgende Großtat für sich beanspruchen konnte – dass ich, als ich aus dem Korb der Unsichtbarkeit in den Schatten der Moschee purzelte, durch mein Aufbegehren von der Unwirklichkeit der Gefühllosigkeit erlöst worden war; als ich, den silbernen Spucknapf in der Hand, im Dreck des Magiergettos landete, merkte ich, dass ich wieder zu fühlen begonnen hatte.
Manche Leiden zumindest lassen sich überwinden.
Der Schatten der Moschee
Es besteht nicht der Schatten eines Zweifels: Etwas beschleunigt sich. Reißen Knirschen Krachen – während in der grauenhaften Hitze Straßen aufplatzen, steuere auch ich der Auflösung zu. Wasan-den-Knochen-nagt (was festzustellen, geschweige denn zu heilen, nicht mehr in der Macht der Medizinmänner liegt, wie ich den viel zu vielen Frauen um mich herum regelmäßig erklären musste), lässt sich nicht mehr lange verheimlichen, und immer noch bleibt so viel zu erzählen ... Onkel Mustapha wächst in mir und der Schmollmund von Parvati-der-Hexe; eine gewisse Locke vom Haar eines Helden wartet in den Kulissen, und ebenfalls warten dreizehn Tage dauernde Wehen und Geschichte als Analogon zur Frisur einer Ministerpräsidentin; Verrat wird es geben und Schwarzfahren und den Geruch (herübergeweht von einer Brise, die erfüllt ist von Witwenklagen), von etwas, das in einer gusseisernen Kasserolle brät ... sodass auch ich gezwungen bin, schneller zu machen, loszustürmen auf die abschließende Zeile; bevor das Gedächtnis so rissig wird, dass keine Hoffnung mehr besteht, die Lücken jemals wieder auffüllen zu können, muss ich das Zielband durchlaufen. (Doch gibt es jetzt schon Schwund und Lücken; gelegentlich werde ich improvisieren müssen.) Sechsundzwanzig Picklesgläser stehen gewichtig auf einem Regal; sechsundzwanzig Spezialmischungen, alle ordentlich etikettiert und mit vertrauten Wendungen beschriftet: «Züge mit Pfefferstreuern» beispielsweise oder «Alpha und Omega» oder «Fregattenkapitän Sabarmatis Stab». Sechsundzwanzig klappern beredt, wenn Stadtbahnen gelbbräunlich vorbeifahren; fünf leere Gläser auf meinem Schreibtisch scheppern drängend und gemahnen mich an meine unvollendete Aufgabe. Doch ich kann jetzt nicht
bei leeren Picklesgläsern verweilen; die Nacht gehört den Worten, und grünes Chutney muss warten, bis es an der Reihe ist.
... Padma spricht sehnsüchtig: «O Herr, wie schön muss Kaschmir im August sein, wenn hier die Sonne wie Chili brennt!» Ich sehe mich gezwungen, meine pummelige, aber muskulöse Gefährtin, deren Aufmerksamkeit abgeschweift ist, zu tadeln und festzustellen, dass unsere Padma Bibi, langmütig tolerant trostreich, sich allmählich genau wie eine traditionelle indische Ehefrau benimmt. (Und ich mich, mit meiner Reserviertheit und meiner Beschäftigung mit mir selbst, wie ein Ehemann?) Vor kurzem habe ich trotz meines stoischen Fatalismus angesichts der sich ausbreitenden Risse den Traum von einer alternativen (aber unmöglichen) Zukunft in Padmas Atem gerochen; sie nimmt die unerbittliche Endgültigkeit innerer Fissuren einfach nicht zur Kenntnis und hat begonnen, den bittersüßen Duft der Hoffnung-auf-Heirat auszuströmen. Mein Dunglotos, der gegen die Sticheleien, die unsere Belegschaft, die Frauen mit dem Flaum auf den Unterarmen, aus höhnischen Mündern schleuderte, so lange Zeit unempfindlich blieb; der das Zusammenleben mit mir außerhalb und über alle gesellschaftlichen Anstandsregeln gestellt hat, ist anscheinend einem Verlangen nach Legalisierung erlegen ... kurzum, obwohl sie kein Wort über das Thema verloren hat, erwartet sie von mir, dass ich eine ehrbare Frau aus ihr mache. Das Parfüm ihrer traurigen Hoffnungsfreude durchdringt ihre harmlosesten beflissenen Bemerkungen – sogar gerade in diesem Augenblick, als sie sagt: «He, Herr, warum eigentlich nicht – bring dein Geschreibsel zu Ende, und dann spann mal aus; fahr nach Kaschmir, ruh dich eine Weile aus – und vielleicht nimmst du deine Padma auch mit, und sie kümmern sich um ... ?» Hinter diesem aufkeimenden Traum von Ferien in Kaschmir (der einst auch der Traum Jehangirs, des Mogul-Herrschers, der armen vergessenen Ilse Lubin und vielleicht Christi persönlich war) schnüffle ich einen weiteren Traum heraus, doch weder der eine noch der andere kann
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