Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
es.»
... Es kann nun nicht mehr lange dauern, dachte Ehrwürdige Mutter, bis unsere Emerald ihrem Major von dem Gast im Keller erzählt, und dann kann ich wieder sprechen. Aber dann drang sie eines Nachts in die Träume ihrer Tochter Mumtaz ein, der Schwarzen, die sie nie hatte lieben können, weil sie die Haut einer südindischen Fischersfrau hatte, und sie erkannte, dass der Ärger nicht aufhören würde, weil auch Mumtaz Aziz – wie ihr Verehrer unter den Teppichen – dabei war, sich zu verlieben.
Einen Beweis gab es nicht. Der Einbruch in Träume – oder das Wissen einer Mutter oder die Intuition einer Frau, nennen Sie es, wie Sie wollen – ist nichts, was vor Gericht Bestand hat, und Ehrwürdige Mutter wusste, dass es eine schwer wiegende Sache war, eine Tochter zu beschuldigen, unter ihres Vaters Dach ein Techtelmechtel anzufangen. Hinzu kam, dass Ehrwürdige Mutter etwas Stahlhartes bekommen hatte, und sie beschloss, nichts zu unternehmen, ihr Schweigen nicht zu brechen und Aadam Aziz entdecken zu lassen, wie gründlich seine modernen Ideen seine Kinder zugrunde richteten – es ihn selbst herausfinden zu lassen, nachdem er sie sein Leben lang geheißen hatte, mit ihren anständigen altmodischen Ansichten stillzuschweigen. «Eine verbitterte Frau», sagt Padma, und ich pflichte bei.
«Nun?», fragt Padma. «Hat es gestimmt?» Ja, in gewisser Weise stimmte es.
«Es gab ein Techtelmechtel? Im Keller? Ohne Anstandsdamen sogar?»
Man betrachte die Umstände – milderndere Umstände konnte es gar nicht geben. Im Untergrund scheinen Dinge statthaft zu sein, die im hellen Tageslicht absurd oder sogar falsch zu sein scheinen.
«Dieser dicke Dichter hat es der armen Schwarzen besorgt? Er hat es getan ?›
Er war auch sehr lange da unten – lange genug, um anzufangen, mit fliegenden Kakerlaken zu reden, und zu fürchten, dass ihn eines Tages jemand auffordern würde wegzugehen, und von sichelförmigen Messern und heulenden Hunden zu träumen und zu entdecken, dass man im Untergrund keine Lyrik schreiben kann; und dann kommt dieses Mädchen mit den Speisen, und es macht ihm nichts aus, deine Töpfe zu leeren, und du schlägst die Augen nieder, aber du siehst ein Fußgelenk, das vor Anmut zu leuchten scheint, ein Fußgelenk, so schwarz wie das Schwarz der unterirdischen Nächte ...
«Ich hätte nie gedacht, dass er so etwas vorhatte.» Padma klingt bewundernd. «Der fette alte Nichtsnutz!»
Und in diesem Haus, in dem jeder, selbst der Flüchtling, der sich im Keller vor seinen gesichtslosen Feinden verbirgt, merkt, dass die Zunge ihm trocken am Gaumen klebt, in dem selbst die Söhne des Hauses mit dem Rikschajungen ins Getreidefeld gehen müssen, um Witze über Huren zu reißen und die Länge ihrer Penisse zu vergleichen und verstohlen über den Traum, Filmregisseur zu sein, zu flüstern (Hanifs Traum, der seine traumdurchdringende Mutter entsetzt, die das Kino für eine Ausdehnung des Gunstgewerbes hält), in diesem Haus, in dem das Leben durch den Einbruch der Geschichte in eine Groteske verwandelt wurde, in der Düsternis der Unterwelt weiß er sich schließlich nicht mehr zu helfen. Er merkt, wie seine Augen nach oben schweifen, über zierliche Sandalen
und lose Pajamas hinaus und über die weite Kurta und über die Dupatta, das Tuch der Sittsamkeit, bis Auge auf Auge trifft, und dann ...
«Und dann? Komm schon, Baba, was dann?», lächelt sie ihn schüchtern an.
«Was?»
Und danach wird in der Unterwelt gelächelt, und etwas hat begonnen.
«Ja und? Willst du mir erzählen, dass das alles ist?»
Das ist alles: bis zu dem Tag, an dem Nadir Khan darum bat, meinen Großvater sprechen zu dürfen – seine Sätze waren in dem Nebel des Schweigens kaum verständlich –, und ihn um die Hand seiner Tochter bat.
«Armes Mädchen», folgert Padma. «Kaschmirische Mädchen sind normalerweise weiß wie Bergschnee, aber sie ist schwarz geschaffen worden. Nun ja, ihre Haut hätte wahrscheinlich verhindert, dass sie eine gute Partie gemacht hätte, und dieser Nadir ist kein Dummkopf. Jetzt müssen sie ihn dableiben lassen und dafür sorgen, dass er zu essen und ein Dach über dem Kopf hat, und er braucht sich nur wie ein fetter Wurm im Boden zu verstecken. Ja, vielleicht ist er gar nicht so dumm.»
Mein Großvater versuchte mit aller Kraft, Nadir Khan zu überzeugen, dass er nicht mehr in Gefahr sei; die Meuchelmörder waren tot, und Mian Abdullah war ihr eigentliches Ziel gewesen; doch
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