Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
herein, in denen Tulpen aus farbigem Glas über bleiverglaste Scheiben tanzten. In Fensterrahmen geklemmte Handtücher saugten Wasser auf, bis sie schwer, gesättigt, nutzlos waren. Das Meer, grau und massig, dehnte sich aus, bis es auf Regenwolken an einem eingeengten Horizont traf. Regen trommelte gegen die Ohren meiner Mutter und vergrößerte das Durcheinander von Wahrsagern und mütterlicher Leichtgläubigkeit und verwirrender Gegenwart von fremden Besitztümern und veranlasste sie, sich alle möglichen Seltsamkeiten vorzustellen. Unter ihrem wachsenden Kind in einer Falle gefangen, stellte Amina sich als überführte Mörderin zur Zeit der Moguln vor, als Tod durch Zerquetschen unter einem Felsblock eine übliche Strafe war ... und in den kommenden Jahren sagte sie immer, wenn sie auf jene Zeit zurückblickte, die das Ende der Zeit war, bevor sie Mutter wurde, die Zeit, in der das Ticktack von Countdown-Kalendern jedermann auf den 15. August zuhetzte: «Davon weiß ich nichts. Für mich war es, als sei die Zeit stehen geblieben. Das Kind in meinem Bauch hielt die Uhren an. Dessen bin ich mir sicher. Lacht nicht: Ihr erinnert euch an den Uhrturm oben auf dem Hügel? Ich sage euch, nach dem Monsun hat er nie wieder funktioniert.»
... Und Musa, der alte Diener meines Vaters, der das Paar nach
Bombay begleitet hatte, ging hin und erzählte den anderen Dienstboten in den Küchen der rot gedeckten Paläste, in den Dienstbotenunterkünften hinter Versailles und Escorial und Sans Souci: «Es wird ein richtiges Zehn-Rupien-Baby; yes, Sir! Ein Mordskerl von einem Zehn-Chip-Pomfret, wartet ab und seht selbst!» Die Dienstboten waren erfreut, denn eine Geburt ist etwas Feines und ein großes dickes Baby das Beste von allem ...
... Und Amina, deren Bauch die Uhren angehalten hatte, saß unbeweglich in einem Turmzimmer und sagte zu ihrem Mann: «Leg deine Hand hierhin und fühl ihn einmal ... da, hast du’s gefühlt? ... so ein großer kräftiger Junge, unsere kleine Scheibe-vom-Mond.»
Erst als der Regen endete und Amina so schwer geworden war, dass zwei Diener mit ihren Händen einen Sitz bilden mussten, um sie hochzuheben, kehrte Wee Willie Winkie zurück, um in der Manege zwischen den vier Häusern zu singen; und erst da erkannte Amina, dass sie nicht nur eine, sondern zwei ernsthafte Rivalinnen um den Preis der Times of India hatte (zumindest wusste sie von zweien) und dass es, Prophezeiung hin oder her, ein sehr knapper Endspurt werden würde.
«Wee Willie Winkie ist mein Name, für mein Brot zu singen meine Gabe!»
Ehemalige Zauberkünstler und Guckkastenmänner und Sänger ... noch bevor ich geboren wurde, war die Form gegossen. Unterhaltungskünstler würden mein Leben orchestrieren.
«Hallo, ist hier alles komfortabel, so mit allem Komfort und Komnach? Oh, witzig-witzig, Damen und Männer, jetzt möchte ich Sie auch lachen sehen!»
Groß dunkel schön, ein Clown mit Akkordeon, stand er in der Zirkusmanege. Im Garten von Buckingham Villa promenierte der große Zeh meines Vaters (mit seinen neun Kollegen) mit und unter dem Mittelscheitel von William Methwold ... sandalenbekleidet, knollig, ein Zeh, der nichts von seinem kommenden Verhängnis
ahnte. Und Wee Willie Winkie (dessen richtigen Namen wir nie erfuhren) riss Witze und sang. Von einer Veranda im ersten Stock aus sah und hörte Amina zu und spürte von der benachbarten Veranda den Stachel des neidisch konkurrierenden Blicks von Nussieder-Ente.
... Während ich an meinem Schreibtisch den Stachel von Padmas Ungeduld spüre. (Ich wünsche mir zuweilen ein einsichtigeres Publikum; eins, das die Notwendigkeit für Rhythmus, Tempo, die feinsinnige Einführung von Moll-Akkorden verstünde, die später ansteigen, anschwellen, die Melodie an sich reißen werden; das beispielsweise wüsste, dass das gleichmäßige Schlagen von Mountbattens Ticktack, obwohl Babygewicht und Monsun die Uhr im Uhrturm des Anwesens zum Schweigen gebracht haben, immer noch da ist, leise, aber unerbittlich, und es nur eine Frage der Zeit ist, bis es unsere Ohren mit seiner metronomisch schlagenden Musik erfüllt.) Padma sagt: «Ich will jetzt nichts von diesem Winkie wissen; tage- und nächtelang habe ich gewartet, und du bist immer noch nicht an der Stelle, wo du geboren wirst!» Aber ich rate zur Geduld; alles an seinem Platz, empfehle ich meinem Dunglotos, denn auch Winkie hat seinen Platz und Zweck. Hier neckt er nun die schwangeren Damen auf ihren Veranden, macht eine
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