Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Katharina von Braganza und Mumbadevi Kokosnüsse Reis; Sivajis Statue und Methwold’s Estate; ein Schwimmbecken in der Form Britisch-Indiens und ein zweigeschossiger Hügel; ein Mittelscheitel und eine Nase aus Bergerac; ein Uhrturm, der nicht funktionierte, und eine kleine Manege; die Begierde eines Engländers nach einer indischen Allegorie und die Verführung der Frau eines Akkordeonspielers. Papageien, Deckenventilatoren, die Times of india, alle sind Teil des Gepäcks, das ich mit auf die Welt brachte ... wundern Sie sich dann noch, dass ich ein schweres Kind war? Der blaue Jesus tröpfelte in mich und Marys Verzweiflung und Josephs revolutionäre Wildheit und die Leichtlebigkeit von Alice Pereira ... auch all das hat mich gemacht.
Wenn ich ein wenig wunderlich erscheine, denken Sie an die unbändige Fülle meines Erbes ... vielleicht muss man sich, wenn man inmitten der wimmelnden Menge ein Individuum bleiben will, grotesk darstellen.
«Endlich», sagt Padma befriedigt, «hast du gelernt, wie man etwas wirklich flott erzählt.»
13. August 1947: Unzufriedenheit in den Himmeln. Jupiter, Saturn und Venus sind in zänkischer Stimmung, die drei Sterne auf der Kreuzbahn ziehen in das ungünstigste Haus von allen. Astrologen aus Benares benennen es furchtsam: Karamstan! Sie betreten Karamstan! Während Astrologen gehetzt den Führern der Kongresspartei Vorhaltungen machen, legt meine Mutter sich zu ihrem Nachmittagsschläfchen nieder. Während Lord Mountbatten beklagt, dass sich in seinem Generalstab keine ausgebildeten Okkultisten befinden, streicheln die sich langsam drehenden Schatten eines Deckenventilators Amina in den Schlaf. Während M. A. Jinnah, sorgenfrei in dem Bewusstsein, dass sein Pakistan in nur elf Stunden – einen ganzen Tag vor dem unabhängigen Indien, für das es noch fünfunddreißig Stunden dauert – geboren sein wird, über die Beteuerungen der Horoskopmacher spottet und amüsiert den Kopf schüttelt, bewegt sich auch Aminas Kopf hin und her.
Doch sie schläft. Und in diesen Tagen ihrer felsblockschweren Schwangerschaft sucht ein rätselhafter Traum ihren Schlaf heim; sie träumt von Fliegenpapier; wie schon zuvor, wandert sie in einer Kristallkugel umher, die mit baumelnden Streifen des klebrigen braunen Zeugs gefüllt ist; sie bleiben an ihren Kleidern haften und reißen sie herunter, während sie durch den undurchdringlichen Papierwald stolpert; und nun müht sie sich ab und zerrt an dem Papier, aber es schnappt nach ihr, bis sie nackt ist, und die ganze Zeit tritt das Baby in ihr, und lange Fliegenpapiertentakel strecken sich aus, um sie an ihrem sich hervorwölbenden Leib zu ergreifen, Papier klebt an ihrem Haar, ihrer Nase, ihren Zähnen, ihren Brüsten und Schenkeln, und als sie den Mund aufmacht, um zu schreien, fällt ein brauner fest haftender Knebel über ihre sich öffnenden Lippen ...
«Amina Begum!», sagt Musa. «Wachen Sie auf! Schlimmer Traum, Begum Sahiba!»
Vorfälle während dieser letzten paar Stunden – die letzten Kleinigkeiten, die zu meinem Erbe hinzukamen: Als noch fünfunddreißig Stunden blieben, träumte meine Mutter, sie klebe wie eine
Fliege an braunem Papier. Und zur Cocktailstunde (noch dreißig Stunden) besuchte William Methwold meinen Vater im Garten von Buckingham Villa. Während der Mittelscheitel über und neben dem großen Zeh umherpromenierte, schwelgte Mr. Methwold in Erinnerungen. Geschichten vom ersten Methwold, der diese Stadt ins Dasein geträumt hatte, erfüllten die Abendluft bei diesem vorletzten Sonnenuntergang. Und mein Vater (darauf bedacht, den abreisenden Engländer zu beeindrucken, äffte er die gedehnte Oxforder Sprechweise nach) antwortete mit: «Eigentlich, alter Junge, ist unsere Familie auch ganz schön distinguiert.» Methwold hörte zu: mit schräg gelegtem Kopf, roter Rose im cremefarbenen Revers, breitrandigem Hut, der in der Mitte gescheiteltes Haar verdeckte, verschleierter Andeutung von Belustigung in den Augen ... Ahmed Sinai, von Whisky auf Touren gebracht, von Wichtigtuerei angetrieben, erwärmt sich für sein Thema. «Mogul-Blut, um die Wahrheit zu sagen.» Darauf Methwold: «Nein! Wirklich? Sie nehmen mich auf den Arm.» Und Ahmed, der längst nicht mehr zurückkann, ist gezwungen, weiterzupreschen. «Diskreter Herkunft natürlich, aber Mogul-Blut mit Sicherheit.»
So zeigte mein Vater, dreißig Stunden vor meiner Geburt, wie auch er sich nach erdichteten Vorfahren sehnte ... wie er dazu kam, einen
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