Mitternachtslöwe (German Edition)
den Ballast von dir. Geist und Seele sind dein einziger Verlass.«
Aber Abaris ignorierte die Worte. Gebannt starrte er auf den Bogen. Die abertausend Blitze, aus denen er gemacht war, schossen durch seine Hand hindurch. Es kribbelte. Es war gut. Dies war nicht nur ein Bogen, es war ein Instrument, ein mächtiges Werkzeug, dem Hammer eines Thors gleich. Und Abaris wusste, wie er zu nutzen war.
Erst jetzt merkte er, wie die anderen auf ihn einredeten. Ihre Worte flogen um ihn herum, aber er verstand kein einziges. Sie grabschten ihn an und rüttelten ihn – sie wollten ihn für sich!
»Nein!«, schrie Abaris. Er riss seinen Bogen aus der Reichweite der anderen. »Er wurde mir gegeben und ich weiß wozu er gemacht ist! Es ist meine Bestimmung es zu beenden, jetzt! Ich hätte es von Anfang an tuen sollen. Der General muss sterben! Und dies«, er hielt den Bogen und den Pfeil hoch über sich, »gibt mir die Macht dazu es ein für allemal zu beenden!«
Natürlich war es Tidesson der sich als erster gegen Abaris stellte. »So wacht doch auf! Ihr taumelt hin und her zwischen Entscheidungen, zwischen Gewissen und klarem Menschenverstand! Ihr könnt nur einen Weg gehen! Und dieser, den Ihr dabei seid zu beschreiten, wird Euch ins Verderben führen!«
»Wer gab Euch das Wissen darüber?« Abaris verachtete den alten Mann und grimmte ihn an. »Habt Ihr Euch mal wieder verzaubert und ward in der Zukunft? Sucht Ihr weiter nach Antworten. Ich habe meinen Schatz und weiß ihn zu nutzen!« Sein Pfeil begann zu rotieren. Er bildete eine Scheibe, die Abaris trug. Der Bogen spannte sich wie ein Segel darüber. Und so stieg er auf sein Luftschiff aus Licht. Gerade als Abaris in die Wogen der Winde tauchen wollte hielt ihn eine zarte Hand zurück.
»Bitte Abaris«, Sophia lag den Tränen nahe, »Ich weiß nicht welche bösen Geister in dir wüten, aber ich bitte dich... geht nicht fort! Wir... die Familie braucht dich.« Zitternd hielt sie sein Hand. Ihre Augen quollen über vor Besorgnis. Ganz tief ihn ihnen, ganz hinten, lag von Kummer ummantelt die Frage nach dem Warum.
Abaris sagte nichts. Langsam hob er ab. Seine Hände entglitten denen Sophias. Er konnte ihr nicht weiter in die Augen sehen.
»Was ist nur mit dir los?!«, schrie Sophia, »Wovor hast du Angst?!«
Einen Moment lang tat Sophia ihm leid. Doch dann, aus seinem tobenden Topf voll Zorn schwappte es über: »Die einzige Angst die mich plagt ist, die Welt nicht mehr rechtzeitig retten zu können!«
»Vertraut auf den Löwen!«, schrie Tidesson ihm hinterher, aber Abaris segelte schneller davon, als die Worte ihm folgen konnten.
Drohende Stille grollte vom Dreikopf hinab. Wie schwerer Morgendunst drückte sie auf Sophias Gemüt. Abaris war fort und diesmal zweifelte sie nicht daran, dass dies auch so bleiben würde. Er nahm sich was er brauchte und ließ die Familie im Stich.
Eine ganze Weile fluchte Byrger hinter seinem Bart. Keine geschwungenen Worte rollten ihm über die Lippen. Die Schwermut auf Sophias Herzen drückte sie auf den Boden. Marias lockiges Köpfchen beugte sich über ihr Gesicht. »Was hast du denn? Warum weinst du?« Sie sagte es mit so viel Zuneigung und Fürsorge, dass Sophias Herz für einen Schlag lang die Last beiseite Schob und den Platz mit der Liebe ihrer Tochter füllte.
Hoch oben am Himmel kreiste einsam ein Vogel. So verloren, wie Sophia, passte er nicht an diesen Ort. Ruhig glitt er auf leichten Schlägen hinab, bis seine breiten Schwingen die Sonne verdeckten. Sein Schatten zog über sie und in Sophias Seele ein. Voller Angst warf sich Maria ihr um den Hals. Ihre Schreie verstummten unter dem blechernem Kreischen des Adlers, der sich mit eisigen Krallen auf sie stürzte.
Prima Materia
Tausende Gesichter waberten um Bureus herum, lebensgierige Fratzen deren eigen Dasein längst erlöschen ward. Mit einem Mal verdampften die Gesichter, verpufften mit einem begierigem Schrei.
»Währt Ihr so freundlich von dem Tiger abzusteigen?«, bat der Kassierer. »Hier Eure Karte. Reihe vier, Platz zwölf. Fräulein Mindi wartet bereits auf Euch. Ich wünsche viel Spass bei der Vorstellung.«
Bureus brachte ein stummes ›Danke‹ hervor, stieg ab und schritt die große Treppe, auf die der Kassierer freundlich mit ausgestreckter Hand wies, hinauf. Er betrat den Saal eines Opernhauses, einer trostlosen Oper in grau und schwarz. Langsam schlichen seine Füße über den Boden, wenn dort überhaupt einer war, bestand dieser lediglich aus
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