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Mitternachtslöwe (German Edition)

Mitternachtslöwe (German Edition)

Titel: Mitternachtslöwe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Langenkamp
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folgten einem schmalen Tunnel, finster ohne Licht. Wie sonst auch griff Abaris nach seinem Stab – ach ja, der nützte ihm hier nichts, was seine Stimmung mehrere Geschosse weit unter den Keller trieb. Den ganzen Weg über dachte Abaris über Weiden nach und über das, was die Leute des Generals damit gemacht hatten. Er würde sein Versprechen gegenüber Christofer einlösen, das schwor er sich.
    Irgendwann stoppten sie. »Der Tunnel geht nicht weiter«, sagte Sophia, »Er hört einfach auf. Wir sitzen fest!«
    Doch schnell entdeckte Abaris ein kleines Funkeln, ein winziges Leuchten, das jedes Mal verschwand, sobald er es direkt ansah. »Wir müssen nach oben«, sagte Abaris. Er fing an die Wände abzutasten und er fand was er vermutete. »Hier! In die Wand sind Kerben eingeschlagen, wie eine Leiter. So kommen wir rauf.«
    Langsam, eine Kerbe nach der anderen suchend, kletterte Abaris voran. Und aus dem einen kleinen Lichtlein wurden viele, viele hunderte, tausende. Die Luft wurde klar und kühl. Vorsichtig lugte Abaris über einen Rand aus Stein. Nichts zu sehen. Nur ein verkommenes Bauernhaus im Licht der halbvollen Mitternachtssonne. Er half den anderen aus dem Loch, das Mauerwerk eines alten Brunnens.
    Abaris schaute hinauf, orientierte sich am Sternenfluss. Etwas südwestlich lag Weiden. Im Dunklem wirkten die Umrisse wie die einer heilen, blühenden Stadt. Keine Ahnung wie vielen nächtlichen Wanderern dies schon zum Trugschluss wurde. In entgegengesetzter Richtung ragte ein schaurig, großes Gebirge, wie die scharfen Zähne eines Raubtieres, aus dem Horizont hervor. Auf nördlicher Strecke riss das Schattentier sein Maul weiter auf und der größte seiner Zähne ragte bis zu den Göttern empor. Es sah aus, als wolle es sich den Mond schnappen und zerkauen. Irgendwie musste Abaris bei dem Anblick an dieses grässliche Wolfsmonster des Regimes denken, den Würger. Ein schlimmes Gefühl überkam ihn.
    »Dort lang.« Abaris führte die Gruppe durch die Nacht gen Norden. Schon bald sahen sie ein Licht, wie Christofer es beschrieb und kurz darauf erreichten sie eine kleine Strohhütte. Davor brannte ein Feuer, gleich daneben blökten einige Schafe die späten Besucher an.
    »Was wollt ihr?«, sagte eine Stimme die vom Feuer zu kommen schien, aber Abaris konnte niemanden erkennen.
    »Der Bote Orpheus' schickt uns«, antwortete Abaris.
    Eine lange Pause kehrte ein. Dann sagte die Stimme: »Legt euch zu den Schafen. Morgen früh besteigen wir den Dreikopf.«

Erntemond
    »Wollt ihr nun rauf zum Dreikopf oder euch wieder zu den Gänseblümchen legen?« schimpfte der alte Schäfer. Er hatte sie früh geweckt, Abaris nannte es aufgescheucht, und trieb sie an, wie wohl sonst seine Schafherde. Mit seinem spitzen Hut und dem knielangen Bart sah er aus, wie man sich als Kind einen Zauberer vorstellt. Nur, dass dieser Mann statt einer langen Robe einen kurzen Lumpen, einen alten Kartoffelsack, umgeschlagen hatte. Mehr nicht. Er machte einen verbitterten Gesichtsausdruck und sein Schaf sah genauso missgelaunt aus wie er. »Diese Stadtmenschen, Boj! Nie haben sie Anstand! Warum nur Boj, warum ist das nur so?«
    Boj machte das was alle Schafe machen, wenn sie etwas zu sagen haben, er machte ›Mäh‹.
    »Ihr ward schon oben auf dem Berg? Es heißt doch niemand hätte es je geschafft?«, fragte Abaris.
    Der Mann im Kartoffelhemd blieb stehen. »Nennst du mich einen Lügner? Dann geh doch allein hoch! Na los! Wolln mal sehen, ob du oben ankommst!« Boj verlieh den Worten seines Herren ein Gesicht: nie zuvor hatte Abaris ein zornerregtes Schaf gesehen.
    Solch schlechte Laune hatte ihre Gruppe seit ihrem Aufbruch noch nicht erlebt. Selbst Maria war still, nachdem der Schäfer sie auf unnetteste Art gebeten hatte darauf zu achten, dass ihr Röcklein nicht wegflöge, statt ihm entnervende Fragen zu stellen, wobei Boj ihr die Zunge rausgestreckte hatte, so dachte Abaris zumindest es gesehen zu haben.
    Also hielten sie alle den Mund und folgten dem Mann und seinem Schaf. Sie gingen durch ein kleines Tal. Die zittrigen Bäume verdeckten ihm die Sicht, aber am Ende konnte Abaris den Berg erkennen, den Dreikopf, wie der Schäfer ihn nannte. Er war dunkler als die Nacht. Ein Schatten, der in den Himmel griff, ihn spaltete und gierig das Blau in sich hineinstopfte, wie klebrigen Brei zum Nachtisch.
    Abaris fühlte eine schmerzliche Kälte, die ihn einnahm. Sie pfiff ihm schlotternd durch die Seele und grub ihre eisigen Klauen in sein

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