Mitternachtslust
Besuch, Natascha!«, rief sie ins Zimmer und fuhr an Melissa gewandt fort: »Ich habe heute Empfangsdienst und muss wieder nach vorn. Vielleicht sehen wir uns ja noch.«
»Vielen Dank.« Melissa wusste, dass Chantal auf ein Foto anspielte, aber sie war sich noch nicht im Klaren, was und wie sie hier fotografieren wollte.
»Schön, dass du gekommen bist!«
Im ersten Moment erkannte Melissa Natascha nicht wieder. Sowohl bei ihrer ersten Begegnung am Imbiss als auch beim Ball war Natascha dezent geschminkt gewesen. Jetzt trug sie pechschwarze falsche Wimpern, Unmengen von glitzerndem Lidschatten, grellroten Lippenstift und ein Haarteil, das das Volumen ihrer dichten roten Haare verdoppelte. Offenbar war sie bereits für ihren Auftritt gekleidet. Ihr schwarzes Kleid war zwar hochgeschlossen und knielang, dabei aber völlig durchsichtig, sodass die knappe silberfarbene Wäsche, die sie darunter trug, in allen Einzelheiten zu erkennen war.
Nicht nur äußerlich schien Natascha hier – in einer Umgebung, in der sie sich sicher fühlte – ein ganz anderer Mensch zu sein als beim Maskenball. Ihr herzliches Lächeln ließ ihr Gesicht selbst unter der üppigen Schminke in Schönheit erstrahlen. Mit einer selbstverständlichen Geste zog sie Melissa in ihre Arme.
»Die Sache mit deinem Mann tut mir so leid. Wenn ich dir irgendwie helfen kann, musst du es mir nur sagen.«
Als sie daran dachte, wie Richard am Abend des Balls über Natascha gesprochen hatte, die nun seinen Tod bedauerte, füllten Melissas Augen sich mit Tränen.
»Im Augenblick möchte ich nicht über ihn sprechen. Es ist alles noch so frisch«, flüsterte sie.
Eine Weile herrschte Stille zwischen den beiden Frauen.
»Ich habe mich für das, was während der Party passiert ist, noch gar nicht bei dir entschuldigt«, murmelte Melissa dann verlegen.
»Das spielt doch nun wirklich keine Rolle mehr«, erklärte Natascha schlicht. »Unfreundliche Leute gibt es überall. Man kann ihnen nicht immer entgehen. Und ich habe auf der Party auch sehr nette Menschen getroffen – zum Beispiel deine Freundin Susanne und Alexander Burg. Nie hätte ich gedacht, dass ich unverhofft einem so berühmten Maler gegenüberstehen würde – und dass er noch dazu ein so freundlicher, fürsorglicher Mensch ist. Er hat mich den ganzen Abend mit Häppchen gefüttert und auf dem Heimweg derart auf den Mann geschimpft, der mich erkannt und versucht hat, mich bloßzustellen, dass ich schon fast versucht war, den armen Tropf zu verteidigen.«
Bei Nataschas Worten versetzte Eifersucht Melissa einen Stich in die Herzgegend. Im nächsten Augenblick schämte sie sich für ihre kindische Reaktion, zumal sie ohnehin nichts mehr mit Alexander zu tun haben wollte. Erstaunt war sie über die Tatsache, dass offenbar jeder außer ihr den bekannten Maler Alexander Burg kannte.
»Hast du Alexander nach dem Ball wiedergesehen?«, hörte sie sich fragen und hätte sich im selben Moment am liebsten die Zunge abgebissen.
»Nein.« Das Lächeln um Nataschas geschminkte Lippen vertiefte sich. »Er hätte ohnehin kein Interesse gehabt. Der Mann ist schrecklich in dich verliebt.«
Melissa starrte sie verblüfft an. »Wie kommst du denn darauf?«
»Ich habe bemerkt, wie er dir praktisch den ganzen Abend mit den Blicken folgte, und da habe ich ihn gefragt«, antwortete Natascha ganz selbstverständlich.
»Du hast ihn gefragt? Und er hat gesagt, er sei …« Melissa blieb die Luft weg, und sie konnte nicht weitersprechen.
»Er sagte, ihm sei noch nie eine Frau begegnet, die ihn derart rasch auf die Palme bringen kann.« Die roten Locken wippten fröhlich auf und ab.
»Das ist ja wirklich ein tolles Kompliment!« Eine leise Enttäuschung legte sich auf Melissas Brust.
»Er meinte das als Kompliment. Und er hat noch mehr verraten.« Vor dem Spiegel überprüfte Natascha ihr Make-up und beobachtete dabei Melissa, die hinter ihr stand. »Er erzählte, ihm wäre aber auch noch nie eine Frau begegnet, die ihm nur die Hand schütteln müsse, und schon würde er ihr am liebsten auf der Stelle die Kleider vom Leib reißen, sie auf den Fußboden werfen und mindestens zwei Stunden lang lieben.«
»Dieser, dieser unmögliche …« Melissa fiel auf die Schnelle keine geeignete Bezeichnung für Alexander ein, vielleicht weil auf unerklärliche Weise ihre Kehle wie zugeschnürt war und sie genug damit zu tun hatte, nach Luft zu schnappen.
»Dieser Mann scheint immer nur an Sex zu denken«, stieß sie schließlich
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