Mitternachtslust
griff ins Leere. Sie richtete sich hastig auf, stellte das noch halb gefüllte Weinglas auf den kleinen Beistelltisch und machte sich ebenfalls auf den Weg ins Bett.
7. Kapitel
Melissa versuchte, das Läuten des Telefons zu ignorieren, das durch die geschlossene Tür des Gästebads drang, in dem sie sich eine provisorische Dunkelkammer eingerichtet hatte. Obwohl sie ihre Fotos zum größten Teil am Computer bearbeitete, machte sie gelegentlich immer noch Bilder mit ihrer alten Spiegelreflexkamera und entwickelte die Filme selbst. Sie fand, dass Schwarz-Weiß-Fotos auf diese Weise einen ganz besonderen Reiz erhielten, wenn er vielleicht auch nur darin lag, dass sie zuschauen konnte, wie aus dem Nichts das Bild auf dem Fotopapier erschien. Ob man dem Ergebnis tatsächlich ansah, wie es entstanden war, hätte sie nicht mit Sicherheit sagen können, bildete es sich aber manchmal ein.
Das Telefon klingelte immer noch. Sie hatte vergessen, das Mobilteil mitzunehmen, und konnte jetzt unmöglich die Tür öffnen, weil das Tageslicht ihre Arbeit zunichtegemacht hätte. Im roten Licht der Speziallampe sah sie zu, wie sich eines der Bilder, die sie gestern Nachmittag im Park gemacht hatte, unter der klaren Oberfläche der Entwicklerflüssigkeit langsam auf dem Fotopapier abzeichnete, wie die Linien immer klarer und die Kontraste deutlicher wurden.
Der Anrufer hatte Ausdauer. Das Gebimmel hörte erst nach zwei oder drei Minuten auf.
Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Melissa die Fotos, die sie bereits auf der dünnen Leine über der Badewanne zum Trocknen aufgehängt hatte. Besonders gut gefiel ihr das Bild von der großen Eiche, die an einer Weggabelung in der Mitte des Parks stand. Es war ihr gelungen, den Baum aus einer Perspektive aufzunehmen, aus der er wirkte, als wäre er der einzige in einem Umkreis von hundert Metern. Ein paar kleine Büsche duckten sich am rechten Bildrand, ansonsten gab es nur das hohe Gras, das sich an den dicken Stamm schmiegte, und den zartblauen wolkenlosen Himmel über den dunkelgrünen Blättern.
Melissa wollte sich abwenden, um das nächste Bild aufzuhängen, als sie stutzte und nach der Lupe griff. Was war das für ein weißer Fleck hinter den Büschen? Sie hielt das Vergrößerungsglas dicht vor das Bild und kniff ihr linkes Auge zu. Jetzt erkannte sie sofort, dass es sich um einen weiß bekleideten Oberkörper handelte. Den Oberkörper eines Mannes. Es war nicht leicht, die Lupe so zu halten, dass sie vor dem unruhigen Hintergrund des blühenden Busches den Kopf erkennen konnte, der zu dem hellen Hemd gehörte.
Alexander Burg! Sie schnaubte empört durch die Nase. Wieso versteckte der Kerl sich in den Büschen und beobachtete sie?
Seit dem Einzugstag waren fast drei Wochen vergangen, und sie hatte ihn in dieser Zeit nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Er war auf einem Rennrad in dem Augenblick durch das schmiedeeiserne Tor auf die Straße gefahren, in dem sie mit ihrem Wagen vom Einkaufen zurückgekommen war. Natürlich hatte sie so getan, als hätte sie ihn gar nicht bemerkt, obwohl er ihr freundlich zugewinkt hatte.
Im Rückspiegel hatte sie beobachtet, wie er, heftig in die Pedale tretend, entschwunden war. Wahrscheinlich handelte es sich um sein abendliches Konditionstraining, das nach allem, was Melissa über Männer wie ihn wusste – wobei sie zugeben musste, dass sie eigentlich kaum Männer wie Alexander Burg kannte – zur Erhaltung seines sportlichen Aussehens wahrscheinlich von äußerster Wichtigkeit für ihn war.
Offensichtlich war er aber mit der Aufgabe des Muskelaufbaus nicht ausgelastet und schlich in den Büschen herum, um sie zu beobachteten, wenn sie mit dem Fotoapparat durch den Park streifte. Und dabei stellte er sich zu allem Überfluss so dumm an, dass sie ihn hinterher auf dem Bild sehen konnte. Unglaublich!
Als das Telefon nebenan in ihrem Schlafzimmer wieder zu läuten begann, riss Melissa die Tür auf, schnappte nach dem Mobilteil auf dem Tischchen neben ihrem Bett und bellte ein unfreundliches »Hallo?« in die Muschel.
»Soll ich lieber später noch mal anrufen?«, erkundigte Susanne sich irritiert.
»Nein, nein, natürlich nicht.« Melissa ließ sich auf die Bettkante fallen. »Ich freue mich doch immer, wenn ich deine Stimme höre. Außerdem wollte ich mich heute sowieso noch bei dir melden.«
»Und – welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?«
»Wieso Laus? Ich war gerade beim Entwickeln.«
»Wenn du dich mit deinen Fotos
Weitere Kostenlose Bücher