Mitternachtslust
erklärt.
»Der Weg war kein Problem.« Susannes Mund zog sich in die Breite. »Es ist uns sozusagen in letzter Minute etwas dazwischengekommen.« Sie beugte sich vor und flüsterte Melissa ins Ohr: »Ein spontaner Quickie. Auf dem Badewannenrand. Es war himmlisch!«
Da Melissa Zeit und Ort nicht für geeignet hielt, um ausführlicher auf dieses Thema einzugehen, wandte sie sich hastig Natascha zu, die in der Nähe stehen geblieben war.
»Ich möchte dir jemanden vorstellen, den ich hier in Hamburg kennengelernt habe. Das ist Natascha. Natascha, das ist meine Freundin Susanne.«
»Das Kleid ist wunderschön«, stellte Susanne freundlich fest, nachdem sie Natascha die Hand geschüttelt hatte. »Wo hast du es gefunden?«
»Es stammt aus dem Fundus«, erklärte Natascha zögernd.
»Oh, du bist am Theater?« Susanne, die alles liebte, was mit Glanz und Glamour zu tun hatte, war begeistert.
»Nicht direkt.« Ein fragender Blick huschte in Melissas Richtung.
»Sag ihr ruhig die Wahrheit. Sie wird es verkraften«, forderte Melissa Natascha auf und fügte an Susanne gewandt mit gedämpfter Stimme hinzu: »Bleibst du bitte in Nataschas Nähe? Sie wird dir erklären, warum sie ein bisschen Unterstützung gebrauchen kann. Ich muss euch jetzt allein lassen. Es wird Zeit, die letzten Gäste zu begrüßen und dann das Büfett zu eröffnen.«
Melissa angelte sich ein Sektglas vom Tablett eines vorbeieilenden Kellners. Der Partyservice hatte die Ober auf Melissas Wunsch dem Motto des Festes entsprechend gekleidet. Allerdings fand sie, dass die Kostümierung fatal an die Uniformen der Konföderierten aus »Vom Winde verweht« erinnerte. Dennoch hatten mehrere Damen sich begeistert über die jugendfrischen Kellner – es handelte sich hauptsächlich um Studenten – in ihren entzückenden Kostümen geäußert.
Melissa lächelte dem glutäugigen Kellner zu, nahm einen großen Schluck von dem eisgekühlten Getränk und bewegte sich durch die vom Duft schwerer Parfüms und teurer Aftershaves geschwängerte Luft zum Frühstückszimmer hinüber.
Sie stellte sich im Türrahmen auf, klatschte laut in die Hände und rief in jenem munteren Tonfall, den sie sich im Lauf der Zeit für diese und ähnliche Ansagen angewöhnt hatte, in die Menge: »Meine Damen und Herren, das Büfett ist eröffnet. Bitte bedienen Sie sich!«
Als jemand sie an der Schulter berührte, zuckte sie zusammen, fuhr herum und sah sich einem Piraten gegenüber, komplett mit Augenklappe und wildem Bart kostümiert.
»Meinst du, er wird mich erkennen?«, fragte eine vertraute Stimme.
Melissa unterdrückte ein Kichern. »Nicht, solange du dich mit ihm über den Lombardsatz oder lohnende Aktienfonds unterhältst, falls ihr ins Gespräch kommt.«
»Das ist eine Selbstverständlichkeit, Mylady.« Er deutete eine höfliche Verbeugung an. »Wenn man in Rom ist, soll man sich wie ein Römer benehmen, nicht wahr? Und natürlich auf keinen Fall Potenzprobleme und Ähnliches erwähnen, ich weiß.« Der Mund unter dem schwarzen Bart verzog sich zu einem Grinsen. »Wo steht übrigens der Lombardsatz – und was ist das genau?«
Melissa prustete ziemlich undamenhaft los, was ihr prompt einen tadelnden Blick von einer Dame mit Betondauerwelle einbrachte, die sich offensichtlich große Mühe gab, das Büfett als Erste zu erreichen. Sie quetschte sich an Melissa und Alexander vorbei ins Zimmer. Die beiden mussten sich eng aneinanderdrängen, um die beleibte Dame durchzulassen.
»Ich möchte dich jetzt wahnsinnig gern küssen«, raunte Alexander ihr zu.
»Untersteh dich!« Melissa trat rasch einen Schritt zurück. Der Gedanke, wie ein Kuss mit diesem wilden Bart sich wohl anfühlen würde, verursachte ein Prickeln auf ihren Lippen.
»Ich wollte dich um etwas bitten«, fuhr sie fort. »Siehst du die rothaarige Frau in dem weißen Kleid dort neben dem Spiegel? Sie steht neben meiner Freundin Susanne, das ist die blonde Frau mit den kurzen Haaren.«
Alexander nickte stumm und bewegte sich von der Tür weg, weil jetzt der große Ansturm hungriger Gäste erfolgte.
»Wie gefällt sie dir? Ich meine die Rothaarige«, erkundigte Melissa sich, nachdem sie ihm Gelegenheit gegeben hatte, Natascha aus der Ferne zu begutachten.
»Willst du mich verkuppeln?« Sein freies linkes Auge blitzte amüsiert auf.
»Ich wollte dich nur bitten, dich ein wenig um sie zu kümmern. Dafür zu sorgen, dass sie etwas zu essen und zu trinken bekommt und so weiter. Ihr Name ist Natascha. Außer mir
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