Mitternachtsschatten
Parfüm gemischt mit dem Tabakrauch. Sie hätte Rico doch besser mitnehmen sollen. Sie hegte nicht den geringsten Zweifel daran, dass er liebend gerne gekommen wäre. Sonst würde er sie nicht immerzu so anstarren. Wenn er jetzt bei ihr in dem alten Haus wäre, würden die Gespenster sich nicht trauen, näher zu kommen, und dann bräuchte sie wenigstens eine Nacht lang keine Angst zu haben.
Nur dass sie ihn dann am nächsten Morgen oder sogar früher wieder rausschmeißen und alleine sein würde, alleine mit der Wahrheit, die sie so ungeheuerlich erschreckte. Und dabei ging es gar nicht um diese Geister. Sondern um ihr eigenes, leeres Leben.
Wie so oft konnte Jilly nicht schlafen. Es war eine weitere lästige Tatsache in ihrem Leben, dass sie sich, schon seit sie fünfzehn Jahre alt war, mit Schlafstörungen herumschlagen musste, und nichts, keine Schlaftabletten, kein autogenes Training und keine Meditation, konnte irgendetwas daran ändern. Sie wusste noch genau, wann es begonnen hatte, und bei Gott, sie wünschte, sie könnte sich nicht mehr erinnern …
Sie lebte damals bei ihrer Großmutter und konnte nicht verstehen, warum ihre Grandma beschlossen hatte, La Casa de las Sombras zu kaufen, wenn sie sich viel schönere Häuser hätte leisten können. Erst vor kurzem war Jilly auf den Gedanken gekommen, dass sie dadurch vermutlich einfach ihren eigenen Sohn auf Distanz halten wollte.
Ihre Eltern hatten sich in den späten Siebzigern scheiden lassen, und Jackson hatte – wie auch immer – das Sorgerecht für die Kinder bekommen. Im Nachhinein konnte Jilly sich überhaupt nicht erklären, warum er das überhaupt gewollt hatte, schließlich interessierte er sich außer für Rachel-Ann für keines seiner Kinder. Wahrscheinlich wollte er sich einfach rächen, weil Edith Walker Meyer es gewagt hatte, ihn zu verlassen. Als dann Edith bei einem Autounfall in der Nähe von San Simeon ums Leben kam, hatte er seine Kinder einfach zu seiner Mutter abgeschoben.
Die beiden hatten ein sehr gespanntes, fast schon feindliches Verhältnis zueinander, aber sie war die Einzige, die sich gegen Jackson durchsetzen konnte. Sie zog seine Kinder einige Jahre lang auf, die wichtigsten Jahre womöglich, und so gelang es ihr, La Casa de las Sombras so lange wie möglich vor den gierigen Hände ihres Sohnes zu beschützen. Das Haus hatte nach dem tragischen Tod der beiden Hollywood-Größen mehr als zehn Jahre leer gestanden. Dann war ihre Großmutter eingezogen, hatte die Hausbesetzer vertrieben und viel zu viel Geld für die Renovierung aufgewendet. Und als die drei Kinder dort abgeliefert wurden, um mit ihrer Grandmère zu leben (so wurde sie gerne genannt, obwohl sie nicht einen Tropfen französischen Blutes in sich hatte), wurde es zum ersten richtigen Heim, das Jilly gekannt hatte.
Sie verliebte sich in La Casa de las Sombras auf den zweiten Blick. Es erinnerte sie immer an das Schloss, in dem Dornröschen umgeben von wuchernden Rosen so lange verzaubert geschlafen hatte. Während Dean sich überwiegend in der Schule aufhielt und Rachel-Ann einfach genervt von dem Haus war, half Jilly mit aller Energie bei den Restaurierungsarbeiten ihrer Grandmère, glücklich, endlich etwas gefunden zu haben, worauf sie ihre ganze Liebe verwenden konnte. Sie lebte dort, bis sie mit siebzehn aufs College geschickt wurde. Es waren die schönsten Jahre ihres Lebens. Bis zu dem Abend am Swimmingpool.
Selbst damals war das Schwimmbecken ein Ärgernis gewesen, keine Chemikalie der Welt war in der Lage, das Wasser klar zu halten, und Grandmère hatte eines Tages einfach entnervt aufgegeben. Doch Jilly war jung und gedankenlos, und im Sommer brannte die Sonne in Los Angeles erbarmungslos. Und sogar die Sommernächte waren heiß.
Es fing mit einer Wette mit Rachel-Ann an. Jilly saß mit überkreuzten Beinen auf dem Wasserbett ihrer Schwester und beobachtete, wie Rachel-Ann sich für eine Verabredung zurechtmachte. Wenn man es eine Verabredung nennen konnte. Sie hatte vor, sich heimlich mit dem Sohn eines Dienstmädchens in dem Badehäuschen beim Pool zu treffen. Jilly wollte gar nicht darüber nachdenken, was sie dort wohl anstellten, sie sorgte sich bereits damals immerzu um ihre Schwester.
„Wenn dir so heiß ist, dann geh doch schwimmen“, sagte die siebzehnjährige Rachel-Ann achtlos. „Grandmère hat gerade heute einen Reinigungsdienst kommen lassen, es sollte also einigermaßen sauber sein. Allerdings verstehe ich nicht, warum sie das Ganze
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