Mitternachtsschatten
Verwandtschaft?
Jilly Meyer aber war ein ganz anderer Fall. Ihr schuldete er nichts. Und wenn sie ihm helfen konnte, Jackson zu vernichten, dann würde er sie benutzen. Keine Frage. Und wenn nicht, dann würde er einfach so mit ihr schlafen, ohne guten Grund. Schließlich war sein Begehren doch Grund genug. Er durfte auf keinen Fall vergessen, warum er hergekommen war. Nämlich, um Jackson Meyer zu Fall zu bringen, um sein Leben von Grund auf zu zerstören. Aber zunächst wollte er Antworten finden. Er wollte wissen, warum es plötzlich eine Schwester gab, von der er nie gewusst hatte. Man brauchte nicht viel Fantasie, um zu erraten, wer ihr Vater war. Jackson Meyers adoptierte Tochter war genauso sein eigenes Kind wie Jilly und Dean.
Die Frage war nur, was sollte er als Nächstes tun? Zunächst einmal wollte er nur schlafen. Er streckte sich in seinem brandneuen Bett aus, ganz alleine, und versuchte, an nichts mehr zu denken. Vor allem nicht an Jilly Meyers zarte, süße Lippen.
„Wir müssen ihn loswerden. Mir gefällt nicht, wie er unsere Mädchen behandelt.“
„Liebling, es sind nicht unsere Mädchen“, korrigierte Ted sie geduldig.
„Wir haben sie aufwachsen sehen, seit sie Kinder waren. Es kommt mir so vor, als seien sie meine Töchter, und weil keiner von uns eigene Kinder hat, sehe ich keinen Grund, warum ich nicht so fühlen sollte. Zumal ihre eigene Mutter tot ist“, murrte Brenda gereizt.
„Das sind wir auch, meine Süße.“
Brenda hätte eigentlich rot werden müssen, aber dazu war sie ja nicht mehr in der Lage. „Ich kann es nicht leiden, wenn du so über uns sprichst. Ich will nicht daran denken!“
„Entschuldige.“ Ted schnippte seine halb gerauchte Zigarette über das Geländer in den Garten. In den ersten Jahren hatte sie ihn noch wegen der Brandgefahr gewarnt, aber dann doch eingesehen, dass es ja keine wirkliche Zigarette, keine wirkliche Glut war. „Ich wünschte nur, wir hätten ein paar Antworten. Ich will wissen, was passiert ist.“
Brenda unterdrückte ein Schuldgefühl. „Bestimmt ist es besser, nicht alles zu wissen.“
„Nicht zu wissen, wie wir gestorben sind? Findest du nicht, dass wir ein Recht darauf haben?“
„Die meisten Menschen wissen das nicht. Sie sterben, sie verschwinden. Aus irgendeinem Grund sind wir noch da, und ich habe auch keine Einwände. Weil ich nämlich die Ewigkeit mit dir verbringen kann, Liebster.“ Sie küsste ihn auf den Mund. Sein Schnurrbart kitzelte ihre zarte Haut, und sie kicherte erfreut.
„Aber warum?“ fragte er, legte seine starken Arme auf ihre Schultern und betrachtete sie. „Warum ist ihre Großmutter gestorben und einfach verschwunden? Und diese andere Frau? Und warum sind wir noch hier?“
Brenda schaute zu ihm hoch. Sie war eine viel bessere Schauspielerin, als irgendjemand zu ihrer Zeit hatte erkennen wollen, und selbst ein talentierter Regisseur wie Ted sah nicht, dass sie ihm etwas vormachte. Er hatte sie nie verdächtigt zu lügen.
„Ich habe nicht die geringste Ahnung“, sagte sie. „Und nach all den Jahren kann ich mir nicht vorstellen, dass wir es jemals rausfinden werden.“
„Doch, wir könnten es herausfinden. Die Leute sprechen noch über uns. Wir müssten nur einfach mal dorthin gehen, wo die Busse halten, und zuhören, was die Stadtführer erzählen.“
„Wir können das Grundstück nicht verlassen. Außerdem bin ich nicht einmal sicher, dass die Busse hier noch anhalten.“
„Dann müssen wir einfach besser hinhören. Sobald irgendjemand anfängt, über unsere Geschichte zu sprechen, bekommst du Lust, mit mir zu schmusen. Wenigstens einmal könnten wir doch bleiben und hören, was die Menschen so über uns erzählen.“
„Die wissen doch auch nicht mehr, Liebling. Das zumindest solltest du inzwischen herausgefunden haben. Niemand weiß, was in dieser Nacht passiert ist. Uns eingeschlossen.“ Diese Lüge hatte sie ihm bereits so oft aufgetischt, dass sie schon fast selbst daran glaubte, und sie schaute ihn dabei lange und aufrichtig an.
Er versteckte seine schönen, geliebten Augen einen Moment hinter geschlossenen Lidern. Und dann öffnete er sie wieder und lächelte, ein schiefes, ergebenes Lächeln. „Du hast ja Recht, Schätzchen“, murmelte er. „Warum mit dem Schicksal hadern? Vor allem, wenn ich ihm dich zu verdanken habe.“
Und Brenda antwortete mit einem strahlenden, unechten Lächeln.
10. KAPITEL
E s war viel schwieriger, Jackson Meyer gegenüberzutreten, als Coltrane
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