Mitternachtsschatten
tun.“
„Kapiert“, sagte Coltrane ruhig. „Also, mit Jilly schlafen, Dean beschäftigen, die Finger von Rachel-Ann lassen, Ihnen das Finanzamt vom Leib halten. Sonst noch etwas, wenn ich schon dabei bin? Soll ich irgendwelche Weltmeere teilen oder Wasser in Wein verwandeln?“
„Das wird alles gar nicht so schwierig. Jilly ist wahrscheinlich gar kein so harter Brocken. Sie ist auf einen hübschen Jungen wie Alan Dunbar hereingefallen, und sie wird auf Sie hereinfallen, wenn Sie sich ein wenig anstrengen.“
„Und Rachel-Ann?“
„Das überlassen Sie mir. Ich werde mich um sie kümmern. Das habe ich schon immer getan. Bis dahin machen Sie sich hier ein wenig rar. Nehmen Sie ein paar Tage frei und genießen Sie das luxuriöse Leben in der Casa de las Sombras. Und lassen Sie Jilly und Dean wissen, dass ich nicht in der Stadt bin.“
„Sind Sie nicht?“
„Keine Ahnung“, antwortete Meyer. Und er lächelte sein leutseliges, charmantes Lächeln, das Coltrane nicht eine Sekunde lang hatte täuschen können!
Rachel-Ann verließ das Haus, bevor es dunkel wurde. Ihr BMW war nicht ganz in Ordnung, und eigentlich hätte sie ihn nur bei Jacksons Mechaniker vorbeibringen müssen, um ihn reparieren zu lassen. Sie hatte zur Zeit fast kein Bargeld mehr, aber Jackson würde ihre Rechnung bezahlen, ohne zu murren. Wie immer.
Sie wollte einen Drink. Sie brauchte einen Drink. Ganz dringend. Endlos lange Tage lagen hinter ihr, und sie wollte es endlich hinter sich bringen, bevor alles noch schlimmer würde. Niemand war im Haus gewesen, als sie am frühen Nachmittag aufwachte, aber der Geruch nach Parfüm und Tabak folgte ihr, egal wohin sie ging, und irgendwann wollte sie nur noch schreien. Sie versuchte, Jilly in ihrem Büro zu erreichen, doch sie besichtigte mal wieder ein altes Gebäude, einen hoffnungslosen Fall, und hatte ihr Handy ausgeschaltet. Jilly hat sich in ihrem Leben schon mit jeder Menge hoffnungsloser Fälle beschäftigt, dachte Rachel-Ann. Ihre ältere Schwester mit eingeschlossen. Eines Tages würde sie damit aufhören müssen.
Rachel-Ann wollte keinesfalls alleine zu Hause sein, wenn Coltrane zurückkam. Sie hatte Angst vor ihm, anders konnte man es nicht ausdrücken. Wenn sie sich zwischen den Geistern des La Casa und dem großen, schönen, verfügbaren Coltrane entscheiden musste, würde sie sich für die Geister entscheiden. Irgendetwas war an dem Mann, das sie komplett durcheinanderbrachte, und sie fürchtete sich davor, genau hinzuschauen und herauszufinden, woran das lag. Auf jeden Fall ging es nicht um Lust oder Begehren. Schon allein der Gedanke daran war erschreckend, und das ausgerechnet in ihrem Fall, wo doch Lust das Einzige war, das ihr wirklich Spaß bereitete. Doch das, was zwischen ihr und Coltrane geschah, hatte damit überhaupt nichts zu tun. Davon abgesehen, dass er hinter Jilly her war, was ihr aber auch nicht gerade weiterhalf. Vielleicht lag es ja an ihrer verdammten, ungewollten Fähigkeit, die es ihr ermöglichte, Geister zu sehen und Dinge zu wissen, die sie gar nicht wissen konnte, dass sie spürte: Coltrane würde nichts als Ärger bereiten. Sie wusste instinktiv, dass sie Jilly vor ihm beschützen musste. Aber das war ja das Problem mit Instinkten. Man wusste nie, ob man vielleicht nur paranoid war oder ob es einen echten Grund für die Panik gab. Jedenfalls würde sie wie ein Idiot dastehen, wenn sie sich einfach grundlos zwischen Coltrane und Jilly stellte.
Viel zu spät bemerkte sie, dass sie schon wieder zu der Kirche am Sunset gefahren war. Sie schaute auf die Digitaluhr im Armaturenbrett. In fünfzehn Minuten begann ein Meeting. Wieder eineinhalb Stunden lang Platitüden und Schuldgefühle. Das war genau das, was sie jetzt brauchte. Sie fand eine Parklücke, fuhr hinein und stellte den Motor ab. Die Kirche war nicht weit entfernt, es war nur ein kurzer Fußweg. Sie musste nur die Autotür öffnen, aussteigen und loslaufen. Und vielleicht war sie heute sogar in der Lage zu sagen: „Hi, mein Name ist Rachel-Ann, und ich bin Alkoholikerin.“
Vielleicht aber auch nicht. Womöglich war es auch besser, wieder umzukehren. Im Kit-Kat-Klub war jetzt bestimmt die Hölle los, und niemand würde auf sie achten, wenn sie sich einfach in eine Ecke setzte und ganz langsam betrank. Sie könnte sich einen Typ suchen, irgendeinen, wer, war ja völlig egal, solange sie nur nicht alleine bleiben musste. Ihre Hände lagen noch immer auf dem lederüberzogenen Lenkrad. Drei Monate und
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