Mitternachtsschatten
vermutet hatte. Er hatte Dean mit dem Range Rover zur Arbeit gefahren und so getan, als würde er seinem ununterbrochenen Wortschwall tatsächlich lauschen. Menschen, vor allem überkluge Computerfreaks wie Dean Meyer, tendierten dazu, so sehr in ihre eigenen Angelegenheiten verwickelt zu sein, dass sie nur selten bemerkten, wenn man ihnen gar nicht wirklich zuhörte. Der Klang ihrer eigenen Stimme genügte ihnen vollauf.
Nur ganz wenige Menschen wurden ohne Voranmeldung zu Jackson vorgelassen. Coltrane gehörte zu ihnen. Also fuhr er direkt in den einunddreißigsten Stock und betrat das Büro, ohne auch nur anzuklopfen.
Jackson Meyer wurde allgemein als gut aussehend bezeichnet, und Coltrane zweifelte nicht daran, dass er, als er jünger war, geradezu unwiderstehlich gewesen sein musste. Selbst jetzt noch, mit der sorgfältig gepflegten Patina des Alters, gelang es ihm, fast jedes weibliche Wesen, das ihm gefiel, zu verführen. Melba, seine junge Frau, wusste bestimmt davon, aber da ihn seine kleinen Liebeleien genauso wenig interessierten wie seine Ehe, war sie ganz zufrieden mit dem gegenwärtigen Stand. Und dem vielen Geld.
Meyer saß lässig zurückgelehnt in seinem Stuhl vor den Fenstern, hinter denen sich die Stadt in einem so herrlichen Blick ausbreitete, als hätte er sich dieses Panorama eigens gekauft. Alles an ihm war perfekt und poliert, angefangen bei seiner unnatürlichen Bräune bis hin zu den Fältchen rund um seine Augen. Sein Schönheitschirurg war der beste der Stadt, ein Arzt, der klug genug war, noch ein wenig Charakter in alten Gesichtern zu lassen, auch wenn sie es nicht verdienten.
„Niemand soll wissen, dass ich hier bin“, begrüßte Meyer ihn in gereiztem Ton, als er Coltrane sah. „Man glaubt doch, ich sei in Mexiko.“
„Ich bin schließlich derjenige, der dieses Gerücht verbreitet hat, Boss“, antwortete Coltrane liebenswürdig.
„Ich dachte, Sie würden Dean zu Hause beschäftigen. Ich kann ihn hier nicht gebrauchen, ich will nicht, dass er rumläuft und dumme Fragen stellt. Ich befinde mich in einer äußerst delikaten Situation. Das Finanzamt ist mir auf den Fersen, und ich bin mir nicht sicher, ob Sie genug dafür getan haben, es von mir fern zu halten.“
„Sie unterschätzen mich“, sagte Coltrane sanft und setzte sich unaufgefordert auf einen Stuhl. „Ich habe alles unter Kontrolle.“
Jackson gab ein ungläubiges Schnauben von sich und kniff die Augen zusammen. „Ich habe die Sanderson-Akte nicht finden können.“
„Genau das sollen Sie ja auch nicht. Wenn ich mich recht erinnere, sollte ich doch alles dafür tun, dass niemand sie wiederfindet. Sie ist weg, Boss, verschwunden, ohne die geringste Spur zu hinterlassen, und niemand wird sie jemals finden, wenn ich es nicht will.“
„Und warum sollte ich Ihnen vertrauen?“ fragte Jackson wütend.
„Sie wären dumm, wenn Sie es nicht täten, nachdem Sie mir diese heikle Angelegenheit übertragen haben“, antwortete Coltrane gelangweilt. „Wenn das Finanzamt davon Wind bekommt, wird ihr gesamtes Kartenhaus einfach zusammenstürzen. Ich vermute einmal, dass es überhaupt nur so lange standgehalten hat, weil Sie ganz genau wussten, wem Sie vertrauen können und wem nicht.“
Meyer starrte ihn an, er war noch nicht überzeugt. „Ich traue niemandem hundertprozentig. Nicht einmal Ihnen.“
Coltrane lächelte ihn an. „Da geht es Ihnen wie mir.“
Meyer sah ihn noch immer an, dann nickte er. „Wie stehen die Dinge in dem verdammten Mausoleum? Ist es immer noch nicht eingefallen?“
„Es hat einen gewissen gruseligen Charme. Ich glaube sogar, dass es wirklich großartig sein könnte, wenn man es wieder so herrichten würde, wie es zu seinen besten Zeiten aussah.“
„Das geht nicht.“ Meyer tat Coltranes Behauptung mit einer Handbewegung ab. „Früher oder später wird auch meine verrückte Tochter einsehen müssen, dass das ein sinnloser Fall ist, und ausziehen. Und dann lasse ich das ganze Haus dem Erdboden gleichmachen.“
„Warum werfen Sie sie nicht einfach raus?“
„Das würde ich ja, wenn ich könnte. Meine verdammte Mutter hat es ihnen als Treuhandvermögen hinterlassen. Sie wusste genau, dass ich es abreißen lassen würde, und sie war nicht weniger sentimental als Jilly. Sie wird an ihrem Haus festhalten, so lange es nur geht, aber eines Tages wird sie aufgeben müssen. Ich bin ja sogar bereit, ihnen finanziell unter die Arme zu greifen, wenn sie sich woanders einrichten, was ich
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