Mitternachtsschatten
innerhalb der nächsten Stunden mit ihr zu schlafen.
„Großer, böser Mann“, murmelte sie schläfrig.
„Sagen Sie hinterher nicht, dass ich Sie nicht gewarnt habe.“
„Sie sind nicht halb so böse, wie Sie selbst gerne glauben würden. Ich habe Sie durchschaut. Ich hätte es gleich wissen müssen, schließlich hat Roofus Sie sofort gemocht. Er hat einen unfehlbaren Instinkt, wenn es um Menschen geht. Darauf konnte ich mich bisher immer verlassen.“
„Sie sind völlig verrückt.“
„Wir haben eine lange Nacht hinter uns“, murmelte sie schläfrig. „Gönnen Sie mir eine kleine Pause. Im Moment will ich nur das völlig neue Gefühl genießen, dass jemand sich einmal um mich kümmert. Werden Sie mich wirklich die Treppe hochtragen, wenn wir nach Hause kommen?“
„Es sei denn, Sie wollen lieber auf Händen und Füßen hochkrabbeln.“
„Ich glaube, ich ziehe die Scarlett-O’Hara-Szene vor“, murmelte sie träumerisch.
„Hauptsache, Sie schlagen mich nicht, während ich Sie trage.“
„Ich versuche, der Verlockung zu widerstehen“, antwortete sie.
Das würde ihr auch nicht helfen, dachte er, schwieg aber. Es war ihr schon vorher schwer genug gefallen, ihm zu widerstehen, und diese Nacht war sie durch die Ereignisse erst recht geschwächt. Er würde sie nicht in Ruhe lassen, bis er alles bekam, was er von ihr wollte, bis er sie so müde geliebt hatte, dass sie wochenlang nur noch schlafen wollte. Gleichzeitig hoffte er, dass Rachel-Ann irgendwo in Sicherheit war. Weit weg von ihrem Vater.
Als Rachel-Ann aus dem Haus rannte, dachte sie keine Sekunde nach, sie zögerte nicht, sie zweifelte nicht. Wie blind hastete sie um die Terrasse herum in die Garage und stellte fest, dass ihr Vater sie zugeparkt hatte. Sie blickte sich um, suchte nach einem anderen Ausweg, erblickte Coltranes Range Rover und probierte, ohne nachzudenken, die Fahrertür zu öffnen. Er hatte sie nicht abgeschlossen, der Schlüssel steckte sogar noch in der Zündung. Sie konnte ihr Glück kaum fassen, sprang in den Wagen, startete den Motor und raste die lange, gewundene Auffahrt hinunter. Sie zitterte am ganzen Leib und hatte Probleme, das Auto auf der Straße zu halten. Fast wäre sie in einen entgegenkommenden Wagen gerast. Sie hielt auf dem Seitenstreifen, um sich anzuschnallen.
„Alles in Ordnung, Rachel-Ann“, flüsterte sie. „Du musst nur ganz vorsichtig fahren, und alles wird gut werden.“ Dann bog sie wieder auf die Straße und konzentrierte sich ganz aufs Fahren. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was zuvor geschehen war, sich nicht an die Stimmen erinnern und die Hände, die sie berührt hatten.
„Lauf weg!“ hatte die Geistererscheinung gesagt. „Dein Bruder wird ihn aufhalten. Verschwinde so schnell wie möglich!“
Und Rachel-Ann, fast taub vor Panik, hatte gesagt: „Ja, das werde ich.“
Sie wusste nicht, wohin sie fahren sollte, es war nur wichtig, nicht anzuhalten und sich auf den Verkehr und die Ampeln zu konzentrieren. Sie könnte sich ein Hotelzimmer nehmen und sich dort verstecken. Niemand würde sie dort finden, nicht die Geister, nicht ihr Vater. Sie wäre in Sicherheit und alleine. Aber sie wollte nicht alleine sein. Davon abgesehen, dass sie bei ihrer Flucht vergessen hatte, Geld mitzunehmen. Wenn die Polizei sie jetzt stoppen würde, bekäme sie einen Strafzettel, weil sie keinen Führerschein bei sich hatte. Oder Schlimmeres, schließlich hatte sie Coltrane nicht gefragt, ob sie sein Auto haben konnte. Sie griff nach ihrem Schlüsselbund, den sie automatisch auf ihrer Flucht mitgenommen hatte, an dem ein kleines Täschchen hing, in dem sie immer ein paar Dollars zum Parken aufbewahrte. Als sie an einer roten Ampel hielt, zog sie den Reißverschluss auf. Ein mickriger Dollarschein war darin, mehr nicht. Damit würde sie nicht weit kommen. Gerade als sie den Schlüsselbund wieder wütend auf den Fahrersitz pfeffern wollte, fiel ihr Blick auf einen Schlüssel daran, den sie noch nie gesehen hatte. Natürlich kannte sie alle Schlüssel an dem Bund: ein Autoschlüssel, einer für das La Casa, einer für die Eingangstore, die nie geschlossen waren. Aber dieser hier war neu und gestern noch nicht da gewesen. Die Ampel schaltete auf Grün, und Rachel-Ann bog nach links ab. Zwar war sie sich nicht sicher, aber zumindest hatte sie einen Verdacht, wer den Schlüssel dort befestigt hatte.
Normalerweise fand sie sich nicht besonders gut in Los Angeles zurecht, trotzdem gelang es ihr, Ricos
Weitere Kostenlose Bücher