Mittsommersehnsucht
am Heck aufgeregt flattern.
Unbeeindruckt davon tummelten sich ein paar Finnwale im Wasser, sie umkreisten spielerisch das Boot, so, als wüssten sie genau, dass ihnen von den Forschern keine Gefahr drohte. Hin und wieder sah Magnus den Blas der Tiere aufspritzen. Auch wenn er schon unzählige Wale in den letzten Jahren beobachtet hatte, so war er doch immer wieder berührt von der Schönheit und Anmut dieser Tiere. So kraftvoll und mächtig sie auch waren, so bewegten sie sich doch im Wasser so graziös wie eine Ballerina auf der Bühne. Es war gleichgültig, ob es sich um einen riesigen Pottwal handelte oder um die kleinen Finnwale oder Orcas, sie alle besaßen diese spielerische Leichtigkeit, die den Beobachter stets aufs Neue faszinierte.
Magnus seufzte auf, als er sich daran erinnerte, wie begeistert Andrea bei ihrem Ausflug nach Andenes gewesen war. Mit leuchtenden Augen hatte sie den Walen zugesehen, die sich vor der Insel regelmäßig ein Stelldichein gaben. Es waren die glücklichsten Tage gewesen, die er bislang mit Andrea verbracht hatte.
Er umklammerte die eiserne Reling so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Tränen brannten in seinen Augen, der Wind trug das salzige Nass zusammen mit dem einsetzenden Regen davon.
»Komm rein, sonst erkältest du dich.« James kam kurz nach draußen und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Noch eine halbe Stunde, dann sind wir auf den Lofoten.«
»Lass mich hier draußen!«
»Nein, Magnus, sei vernünftig. Wenn du erkältet bist, lassen dich die Ärzte vielleicht nicht zu Andrea. Sie darf sicher nicht der Gefahr einer Infektion ausgesetzt werden. Und was wäre damit gewonnen?«
Das Argument wirkte. Langsam, mit starrem Blick drehte sich Magnus um. Gerade wollte er dem Freund ins Innere des Bootes folgen, als beide einen unterdrückten Schrei ausstießen.
»Der ist ja wohl verrückt geworden!« Eine kleine Yacht, blau und weiß gestrichen, kreuzte gefährlich nahe ihren Weg. Am Heck sah man gerade noch ein paar bunte Wimpel und die Nationalflagge flattern, dann war das Boot auch schon ihren Blicken entschwunden. Erst als sie einige Meilen weiter waren, tauchte die Yacht wieder auf. Immer noch in voller Fahrt, immer noch so wahnsinnig schnell in diesem gefährlichen Gewässer, dass es einem angst und bange werden konnte.
James sah kurz zu Lars hinüber, der gerade das Fernglas zur Seite legte. Der Kapitän der Black Nessy schüttelte den Kopf und tippte sich kurz an die Stirn.
»Der Kerl ist ja wohl verrückt!« James sah der Yacht nach, die ganz offensichtlich in Richtung Festland unterwegs war. »Den Schiffseigner müsste man eigentlich anzeigen. Wo hat der den Bootsführerschein gemacht?«
Magnus reagierte nicht. Er sah der blau-weißen Yacht mit starrem Gesichtsausdruck nach. James ließ ihn in Ruhe, er wusste, dass er dem Freund nur helfen konnte, wenn er ihn so schnell wie möglich zu Andrea brachte.
Je mehr sich die Black Nessy den Lofoten näherte, umso heftiger tobte der Sturm. Die Wellen, eben noch kleine, schaumgekrönte, silbern glänzende Wasserhügel, waren fast zwei Meter hoch geworden und schlugen klatschend gegen die Bordwand. Lars hatte es nicht leicht, das Boot auf Kurs zu halten, zumal sie sich jetzt dem Meeresabschnitt näherten, in dem es unterirdische Riffe und gefährliche, fast ganz mit Wasser bedeckte Felsformationen gab.
Die Wale waren verschwunden, und auch die Möwen, die normalerweise die in Landnähe fahrenden Schiffe umkreisten, waren nicht mehr zu sehen.
»Hey, was ist denn das?« James, der still neben Magnus gestanden und nach draußen gesehen hatte, wies nach rechts, wo sich in rascher Fahrt ein Boot näherte. »Polizei!«
»Ach ja?« Nur für ein paar Sekunden flammte Magnus’ Interesse auf.
»Sieht aus, als würden sie jemanden verfolgen.« James hob das Fernglas, das vor ihnen auf einem schmalen Bord lag, an die Augen. »Jetzt drehen sie wieder ab …«
»Kann ja sein.« Magnus zuckte mit den Schultern. Er sah weiterhin starr geradeaus in den immer heftiger werdenden Regen. All sein Denken, sein Fühlen galt jetzt Andrea.
52
V erdammt, warum tat es das Radargerät nicht? Mit brennendem Blick sah Tom Rheenhus auf die Kontrollgeräte des Bootes. Er hatte es vorgestern in Alta gestohlen. Ein wenig abseits hatte es in dem kleinen Hafen hoch im Norden gelegen – schnittig, wendig, sehr modern.
Drei Tage lang hatte sich Tom in einer Rorbuer am Alta-Fjord aufgehalten. Ein Krabbenfischer hatte ihn von den
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