Mittsommersehnsucht
Svolvær, das Sie uns empfehlen könnten? Wir haben das Wohnmobil auf dem Festland stehen lassen. Drei, vier Tage wollen wir uns auf den Lofoten aufhalten und uns dort umsehen, dann geht es zurück nach Skutvik.« Der Mann wies hinter sich, der kleine Ort lag, im Dunstschleier noch gut zu erkennen, der Lofotenhauptstadt Svolvær genau gegenüber.
»Fragen Sie am Hafen nach, dort gibt es eine Touristeninformation.« Sie nickte den beiden zu. »Noch gute Erholung, und übernehmen Sie sich nicht.« Sie sah den alten Herrn forschend an. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
»Ja, danke.«
»Sollten Sie mal einen Arzt brauchen – ich werde für eine Weile in Stamsund praktizieren. Und es ist vielleicht praktisch, sich auf Deutsch unterhalten zu können.«
»Gut zu wissen. Danke, Frau Doktor. Aber ich muss mich nur ein bisschen ausruhen. Wir waren gestern einfach viel zu lange unterwegs.«
»Dann – alles Gute.« Andrea holte ihr Gepäck und ging, nachdem die Fähre angelegt hatte, als eine der Ersten an Land. Suchend sah sie sich um.
»Andrea!«
»Evelyn! Das ist ja eine Überraschung!«
Andrea ließ ihr Gepäck zu Boden fallen und lief auf die Malerin zu, die neben einem grauen alten Volvo stand und beide Arme ausbreitete.
»Ich hab’s gewusst, dass wir uns sehr bald wiedersehen würden.« Evelyn trug zu einer wollweißen weiten Hose einen lachsfarbenen Pullover, darüber einen Poncho aus grauem Mohair. Das Haar hatte sie am Hinterkopf festgesteckt, so konnte man die lachsfarbenen langen Ohrgehänge aus Koralle und getriebenem Silber sehen. »Birgit hat mich angerufen und mir gesagt, was passiert ist.« Sie griff nach Andreas Reisetasche und schob sie auf den Rücksitz. Den metallenen Koffer wuchtete Andrea in den Kofferraum.
»Hätte ich geahnt, dass ich so schnell wieder hier bin … das Ungetüm hätte ich schon mal hiergelassen.« Andrea lachte.
»Tja, mit Gepäckträgern sieht es hier schlecht aus. Aber ich bin die beste Chauffeuse weit und breit. Steig ein! Wir fahren gleich rüber zum Doktorhaus, einverstanden?«
»Klar. Birgit wird sicher schon warten. Sie war total geschockt, schien mir.«
»Mit Recht. Holger ist wohl völlig durchgedreht. Man hat ihn in die Psychiatrie gebracht, da wird er erst mal ruhiggestellt.« Evelyn seufzte leise auf. »Birgit ist rüber nach Gravdal in die Klinik.« Sie setzte sich hinters Lenkrad und startete den Motor. »Holger ist eine echte Belastung für Birgit. Er war schon immer ihr Sorgenkind. Lausig faul in der Schule, dazu frech und aufsässig. Was immer er angefangen hat – nie hat er eine Arbeit zu Ende geführt. Gelernt hat er auch nichts Rechtes, dabei scheint er Geld genug zur Verfügung zu haben. Ich denke, er ist auf die schiefe Bahn geraten. So sagt man bei euch, nicht wahr?«
»Ja …« Andrea schaute aus dem Fenster. Evelyn lenkte den Wagen vom etwas außerhalb gelegenen Fährhafen fort in Richtung Stadt. Die bunten Holzhäuser am Ufer, auf ihren hellen Holzpfählen stehend, waren Andrea inzwischen wohlvertraut, genauso wie die ein wenig abseits stehenden Fischfabriken, vor denen Lastwagen und Kleintransporter parkten. Gleich hinter dem Ort erhob sich das Felsmassiv Svolværgeita, das wegen seiner zwei Spitzen an einen Ziegenbock erinnerte.
Ein paar Dutzend weiße Yachten waren im Hafen vor Anker gegangen, ein Wasserflugzeug landete gerade. Zwei majestätische Kreuzfahrtschiffe lagen am Kai, die Touristen befanden sich bestimmt auf einem Ausflug zum nahe gelegenen Troll-Fjord, der größten Attraktion der Inselkette. Andrea erinnerte sich daran, wie begeistert sie gewesen war, als sie diesen Fjord zum ersten Mal gesehen hatte.
War das wirklich erst ein paar Wochen her? Ihr kam es wie eine kleine Ewigkeit vor.
»Ich hab gewusst, dass du zurückkommen würdest.« Evelyn fuhr durch die kleine Stadt, die gerade mal viertausend Einwohner hatte – und doch das Herzstück der Lofoten war. Gemütliche Kneipen am weitläufigen Hafen, Geschäfte, Hotels, Galerien. Es war unglaublich, wie viele Künstler es auf die Lofoten gezogen hatte.
Evelyn wies zu einer Brücke, die im ersten Moment unscheinbar wirkte. Es gab unendlich viele große und kleine Brücken, die Schäreneilande und größere Inseln miteinander verbanden.
»Die Brücke führt nach Svinöy, da steht das bekannte kunstnerhus .«
»Was ist das? Ein Museum? Ehrlich gesagt, hab ich noch nie davon gehört.«
»Die ganze kleine Insel ist eigentlich ein Künstlerzentrum. Und das kunstnerhus wird
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