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Mittsommersehnsucht

Mittsommersehnsucht

Titel: Mittsommersehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elfie Ligensa
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Rollkragenpullover mit apartem Zopfmuster. Das Haar hatte sie zu einem lockeren Knoten gebunden. Allerdings hatten sich einige Haarsträhnen gelöst, die sich jetzt in kecken Löckchen um Andreas schmales Gesicht ringelten.
    Draußen tobte einer der ersten Herbststürme des Jahres über die Inseln. Wild zerrte der Wind an den Fahnenmasten, die am Hafen aufgereiht standen, er ließ die Fischerboote einen Wellentanz aufführen und vertrieb mit dem Regen, den er mitführte, die Touristen von den Aussichtspunkten an den Klippen und aus den engen Gassen von Kabelvåg. Einige von ihnen besuchten die Lofot-Kathedrale, eine große, imposante Holzkirche, die an der neu angelegten Europastraße 10 stand und Zeugnis davon ablegte, dass der Ort um das Jahr 1900 noch das Zentrum der Lofoten gewesen war. Diejenigen, die sich mehr für die Tierwelt interessierten, gingen ins Aquarium am Westrand der Stadt, wo sie sich die ganze Wasserfauna der Lofoten anschauen konnten.
    »Ist dir immer noch kalt? Rück doch noch ein bisschen näher ans Feuer.« Besorgt sah Evelyn Wahlstrom ihre Besucherin an. Am späten Nachmittag war Andrea gekommen, sie hatte Evelyn umarmt und nur gesagt: »Kann ich mit dir reden?«
    Doch jetzt saß sie reglos am Kamin und sprach kein Wort. Sie reagierte auch kaum, als Evelyn eine Schale Nussgebäck vor sie hinstellte. Wie ein Häufchen Elend saß sie im Sessel, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, die Beine eng zusammengepresst, und starrte in die Flammen, die leise aufzischten, als ein Scheit zerfiel. Kleine Funken sprühten auf, verglommen aber innerhalb weniger Sekunden.
    Evelyn ging kurz hinüber in ihr Atelier und ließ die Rollläden herunter. Dabei sah sie kurz in ihren Garten, wo Blütenblätter und kleine Zweige wild durch die Luft gewirbelt wurden. Nur die vier Bronzefiguren an ihrem Brunnen, den sie vor zehn Jahren selbst gefertigt hatte, trotzten wie eh und je der Witterung.
    Als sie in den Wohnraum zurückkam, hatte Andrea ihren Kaffee getrunken und saß, die Beine unter den Körper gezogen, im Sessel. »Magnus hat mich belogen.« Nur diese vier Wörter, doch sie verrieten alles, was sie bewegte: ihren Schmerz, ihren Zorn, ihre Verzweiflung, die Trauer und diese elende Hilflosigkeit, die sie zu lähmen drohte.
    »Das glaube ich nicht!«
    »Es ist aber so. Diese Lilian … ich nehme an, sie kriegt ein Kind von ihm.« Tränen liefen ihr bei diesen Worten über die Wangen.
    »Wie kommst du denn darauf?« Evelyn setzte sich zu ihr auf die breite Sessellehne und legte ihr den Arm um die zuckenden Schultern.
    »Ich … ich habe die Nachricht auf seinem Handy gefunden. Er hat es bei mir vergessen.« Sie hielt inne und starrte zum Fenster. Es war, als würde sie die einzelnen Regentropfen zählen wollen, die an der Scheibe herunterliefen.
    »Und was stand in der Nachricht?«
    »Dass sie eine wundervolle Neuigkeit für ihn hat. Und dass sie ihn vermisst.«
    »Nun ja, das kann alles und nichts bedeuten. Vor allem heißt es nicht, dass sie schwanger ist.«
    »Aber …«
    Evelyn stand auf und goss frischen Kaffee nach. Diesmal gab sie einen Schuss Cognac dazu. Ein bisschen Nervennahrung kann nicht schaden, sagte sie sich. Und Alkohol in Maßen genossen ist wie Medizin.
    »Magnus liebt dich. Nur dich. Glaub mir das. Was immer diese Lilian mal für ihn bedeutet haben mag – es ist Vergangenheit.«
    Andrea schüttelte den Kopf. »Wenn ich das nur glauben könnte. Aber er ist wie Jonas, egoistisch und unehrlich.«
    Evelyn stellte ihre Tasse auf einem kleinen runden Tisch ab, dessen Platte aus gehämmertem Messing war. Der Tisch war eines von vielen Erinnerungsstücken an ihre Reisen. In Marokko hatte sie vor mehr als zehn Jahren diesen Tisch entdeckt und mitgenommen. Sie griff zur Cognacflasche und schenkte sich und Andrea noch einmal nach. »Reg dich nicht auf, sonst bekommst du noch einmal Fieber. Siehst sowieso so elend aus wie eine Robbe nach dem Häuten.«
    »Danke. Das Kompliment hat mir gerade noch gefehlt.« Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen.
    »Na also, geht doch. Lach die Sorgen einfach weg! Und sprich mit Magnus. Er wird dir sicherlich für alles eine logische Erklärung geben können.«
    »Ich will ihn nicht …« Mitten im Satz klingelte ihr Handy. Sie sah kurz aufs Display, dann meldete sie sich. »Carina, hallo!«
    »Hei, Andrea. Alles in Ordnung bei dir?« Die Anruferin wartete keine Antwort ab, sondern sprach gleich weiter: »Du, ich bin ein bisschen im Stress, deshalb nur so viel:

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