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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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offenkundig fehlte.
    Manche dieser Briefe heftete sie ab, bei anderen überlegte sie, ob sie damit zur Polizei gehen sollte, falls andere Frauen ähnliche Schreiben bekamen und der Absender irgendwann einmal erwischt werden würde. Mit einigen Briefen wiederum wollte sie auf keinen Fall zur Polizei, damit niemand auf dem Revier auf die Idee kam, dass es schließlich keinen Rauch ohne Feuer gäbe.
    Aber die meisten verbrannte sie einfach im Kamin oder im nächstbesten Aschenbecher.
    Merrily ließ ihr Zippo-Feuerzeug aufflackern. Natürlichstimmte es höchstwahrscheinlich. Jane hatte ihre Ansichten an diesem Nachmittag im
Green Dragon
eindeutig zur Sprache gebracht.
«Die Kirche war nämlich schon immer auf diesem paternalistischen Machttrip und will nicht, dass die Leute nach der Wahrheit suchen. Früher haben sie versucht, sich gegen die Wissenschaften oder den Darwinismus zu wenden, und heute ist eben die New-Age-Bewegung dran, weil es dort wirklich um praktizierte Spiritualität geht.»
    Und zu Esoterik-Messen ging, wer auf der Suche nach echter «praktizierter Spiritualität» war. Merrily bezweifelte keinen Augenblick, dass diese Aussage des Briefes stimmte. Außerdem würde es eine Menge erklären, nicht zuletzt die Anziehungskraft, die Rowenna auf ihre Tochter ausübte.
    Sie wusste, dass mit dem Bilderbuch des Teufels die Tarotkarten gemeint waren.
    Et tu, Spatz.
Merrily fühlte sich, als würde ihr bitterer Nebel den Atem rauben. Sie hatte Kopfschmerzen. Und sie hatte keine Wahl mehr.
    Sie schickte dem Bischof die E-Mail und verließ den Exorzistenturm.

TEIL DREI
Projektion
    30
Selbstmitleid
    Ihr war kalt, und sie fühlte sich merkwürdig leicht, so als sei ein Gewicht von ihren Schultern genommen worden, allerdings ohne sie wirklich zu befreien. Der Himmel war bedeckt. Sie sah keinen einzigen Passanten lächeln.
    Sie sollte Dobbs erklären, dass es vorbei war. Dass er sich in Ruhe erholen konnte. Ja, das würde sie tun. Sie würde zur Besuchszeit ins Krankenhaus gehen und es ihm sagen.
Jesus Christus war der erste Exorzist, das Vorbild bleibt erhalten.
Damit würde sie einen endgültigen Schlussstrich unter alles ziehen.
    Es sei denn, Huw wäre dort, der Mistkerl, mit seinem Weihwasser und seinen Kerzen.
    Die Stadt schien im Nebel um sie herumzuwirbeln. Sie durfte sich nicht nach der Kathedrale umdrehen. Die Kathedrale gehörte jetzt nicht mehr zu ihrem Leben. Sie sollte in ihre eigene Gemeinde zurückkehren und sich mit dem Einbruch in die Kirche befassen. Sie gehörte nach Ledwardine – in ihr Zuhause.
    Oder war es das nicht?
    Schweiß trat ihr auf die Stirn. Sie fühlte sich schwerelos, wertlos. Sie hatte kein Zuhause, keinen Geliebten, keinen spirituellen Berater, keine   …
    Tochter?
    Du hast sie enttäuscht. Warst zu beschäftigt mit deinen eigenen Problemen. Hast sie diesen okkultistischen New-Age-Freaks in die Arme getrieben.
     
    Lol sah Merrily vom Fenster aus. Sie lief beinahe schwankend durch die neblige Capuchin Lane und streifte die weihnachtlichen Schaufensterauslagen mit achtlosem Blick.
    Er rannte an dem Mountainbike vorbei und durch das Gewaber von Nicos Trauermusik auf die Straße. Val sah ihm höchst interessiert nach.
    «Merrily?» Aus der Nähe wirkte sie noch schwächer und ausgelaugter.
    «Oh», sagte sie. «Hallo.» Lol war schockiert. Merrily sah ihn mit genauso vagem Blick an, wie es Moon oft getan hatte – oder war das nur seine eigene Paranoia?
    Aber es war nicht seine Paranoia, die für diese dunklen Schatten unter ihren Augen, den müden Gesichtsausdruck oder das zerzauste dunkle Haar verantwortlich war.
    Er sah sich um. Das Apartment passte jetzt nicht – die Atmosphäre neulich Nacht war zu merkwürdig gewesen, fast als hätte Moons bevorstehender Tod einen Schatten auf sie beide geworfen.
    Merrily ließ sich von Lol in das Eckcafé führen, in dem er mit Jane den Schokoladenkuchen gegessen hatte.
     
    Sie waren die einzigen Gäste im Hinterzimmer. Eine braune Teekanne stand zwischen ihnen auf dem Tisch. An der Wand hing ein gerahmtes Cézanne-Poster – von der Sonne festgebackene Ackerfurchen unter flirrender Hitze.
    Der Briefbogen lag gefaltet unter der Zuckerdose, sodass nur wenige Worte zu sehen waren: «…   allgemein bekannt, dass solcheVeranstaltungen ein Magnet für Mitglieder von Okkultistengruppen sind, die nach Konvertiten suchen   …»
    «Ja», sagte er, «aber hauptsächlich sind sie ein Magnet für Leute, die morgens beim Frühstück ihr Horoskop in

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