Modemädchen Bd. 1 - Wie Zuckerwatte mit Silberfäden
bei den Auftritten seiner Band tragen.«
»Aber sie sind rosa!«
»Er findet Rosa okay.«
Wir schweigen eine Minute und würdigen, wie cool mein Bruder ist. Dann nehmen wir uns in den Arm. Ich weiß, heimlich dankt Edie dem lieben Gott für ihren kleinen Bruder Jake, der erst sieben ist. Und ich weiß, dass wir beide daran denken, wie Krähe eines Morgens in ihr Dorf zurückkam und Henry fort war. Und nie wiederkam.
Es ist kalt und dunkel, und ich sitze auf einem harten Stuhl in einem schlecht erleuchteten Raum in einem großen, hässlich ausgestatteten Gebäude namens Bush House, nicht weit von Trafalgar Square. Krähe sitzt neben mir. Ausnahmsweise zeichnet sie nicht. Sie tritt mit den Füßen gegen die Stuhlbeine und erzeugt ein rhythmisches »bumm, bumm, bumm«, das sich gut mit dem Pochen in meinem Kopf verträgt.
Seit einer halben Stunde habe ich Kopfschmerzen. Ich weiß nicht, ob es an der Cola liegt, die ich trinke, seit wir hier sind, oder an der flackernden Neonröhre in einer Ecke oder an Krähes Nerven, die sich von Zeit zu Zeit unter anderem dadurch bemerkbar machen, dass sie am ganzen Körper zittert.
Edie hat ein Radio-Interview mit Krähe im Auslandsfunk eingefädelt. Sie soll von der Modenschau erzählen und von der Initiative für die unsichtbaren Kinder. Die Sendung wird auch in Afrika ausgestrahlt. Die Leute sollen wissen, dass wir an sie denken und tun, was wir können, um zu helfen. Hoffentlich bringt die Sendung auch andere Leute dazu, helfen zu wollen.
Ich sehe Krähe an, dass sie Angst davor hat, über Henry sprechen zu müssen. Das hier ist etwas anderes, als mir von ihm zu erzählen. Für ein Mädchen, das mit Elfenflügeln und perlenbesetzten Häkelmützen herumspaziert, ist sie ziemlich schüchtern, aber sie gibt sich tapfer. Die Sendung läuft im Nachtprogramm und wird live gesendet, und wir sind schon seit Ewigkeiten hier und warten, bis wir dran sind. Das heißt, bis Krähe dran ist. Ich bin nur da, um ihr die Hand zu halten, was ich im Moment nicht tun kann, weil sie sich mit beiden Händen an den Stuhlsitz klammert.
Endlich steckt ein junger Mann etwa in Harrys Alter den Kopf durch die Tür und sagt, es ist so weit. Er hat den sanftesten Gesichtsausdruck der Welt, doch in Krähes Augen steht blanke Panik. Als sie aufsteht, schwankt sie. Auf einmal wird mir klar, dass es nicht nur die Vorstellung ist, live im Radio zu sprechen, die ihr Angst macht. Ich glaube, sie hat eine Art Flashback.
Es ist einfach zu viel. Wir können ihr das nicht antun. Ich sehe den Mann an, schüttele den Kopf und lege ihr die Hände auf die Schultern.
»Schon gut«, sage ich. »Du musst da nicht rein. Alles ist gut.«
Ich setze sie wieder auf den Stuhl. Sie blickt zu mir auf, ängstlich und verwirrt.
Der junge Mann steht da, runzelt die Stirn und zeigt auf seine Uhr.
»Ich springe für sie ein.« Als ich es ausspreche, weiß ich, dass es die einzig richtige Entscheidung ist. »Keine Angst, Krähe. Du fährst einfach nach Hause. Okay? Versprichst du mir das?«
Ich krame in meiner Handtasche herum und finde das Taxigeld für Notfälle, das ich auf Mums Anordnung immer dabeihabe. Ich gebe es Krähe und sage dem jungen Mann, er soll dafür sorgen, dass sie so schnell wie möglich sicher in ein Taxi gesetzt wird. Dann verspreche ich ihm, dass ich den Weg zum Studioselbst finde, und nervös lässt er mich ziehen. Anscheinend hat er verstanden, dass es entweder so läuft, oder ich bringe Krähe nach Hause, und dann hat er überhaupt keinen Gast, den seine Chefin in ein paar Minuten interviewen kann.
Mir geht es gut, bis ich der nett aussehenden Frau mit der rauen Stimme gegenübersitze, die die Sendung macht. Sie mustert mich verblüfft. Wahrscheinlich überrascht sie nicht nur, dass ich kein schwarzer ugandischer Flüchtling bin, sondern auch, dass ich mit Samt-Hotpants, Smokingjacke und einer Melone experimentiere. Nervös setze ich die Melone ab und versuche mich so bequem wie möglich hinzusetzen. Was nicht sehr bequem ist.
Doch dann wird allmählich alles einfacher. Wir machen verschiedene Soundchecks, und nachdem ich ihr erklärt habe, was aus ihrem Assistenten geworden ist, leitet die Moderatorin mich durch die Sendung. Es ist eine Mischung aus Gespräch und Musik. Sie macht das schon seit Jahren und schaltet schnell um von dem angekündigten Interview mit »der Designerin, die ein Flüchtling ist«, zu einem Interview mit »der Freundin der Designerin, die ein Flüchtling ist«.
Sie stellt
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