Modemädchen Bd. 1 - Wie Zuckerwatte mit Silberfäden
süß.
Irgendwann erreicht sie das Meisterstück der Kollektion – den Schwan. Es ist das einzige Kleid, das praktisch fertig ist, auch wenn Krähe immer noch jedes Mal etwas daran ändert, sobald sie es sieht.
»Oh.« Wieder schnappt Sigrid nach Luft. Sie steht wie versteinert da. »Mein Gott, das ist es. Das muss es sein. Ich habe so ein Filmpreisdings. Kann ich es anprobieren? Wie viel kostet das Ding?«
Mein Hirn fühlt sich an, als hätte es jemand von einer Klippe gestoßen, und jetzt purzelt es über die Felsen in die Tiefe. Filmpreisdings. Anprobieren. Wie viel. Ich habe noch gar nicht daran gedacht, dass die Kleider nach der Modenschau tatsächlich verkauft werden könnten – auch wenn es natürlich genau darum geht. Und dann an einen A-Promi wie Sigrid. Krähe würde cool bleiben, da bin ich sicher. Aber sie ist nicht da.
Ich bin so damit beschäftigt zu überlegen, was ich davon halte, dass Sigrid, bevor ich sie aufhalten kann, das Kleid einfach von der Puppe gepflückt hat.
»Helft mir mal«, verlangt sie und geht auf den Spiegel zu.
Dann zieht sie sich seelenruhig bis auf die Unterhose aus und steigt in das Kleid. Sie hat natürlich eine Mini-Kleidergröße, und es sitzt wie angegossen. Es sieht so aus, als wäre es für sie gemacht. Es sieht so aus, als wäre es AN IHR gemacht. Jetzt bin ich es, die nach Luft schnappt, und offensichtlich ist das genau die Wirkung, die sie erzielen wollte. Ich habe das Kleid noch nie angezogen gesehen, und es ist unglaublich. Ein lebendig gewordenes Märchen von einem Kleid, und Sigrid, die Star-raubende Schlampe, sieht unglaublich darin aus.
Sie steht minutenlang vor dem Spiegel, posiert und stolziertauf Zehenspitzen herum. Es sieht von jedem Winkel umwerfend aus. Keine einzige Naht muss geändert werden.
»Entzückend«, sagt sie zum x-ten Mal. »Kann ich es mitnehmen?«
»Ich fürchte, nein«, erkläre ich. »In einer Woche ist die Fashion Week. Wir brauchen es für die Proben und so weiter. Und natürlich für die Modenschau.«
»Süß«, sagt Sigrid herablassend. »Wann ist die Modenschau?«
»In zwölf Tagen«, antworte ich und strecke die Hände aus, um ihr aus dem Kleid zu helfen. Sie rührt sich nicht von der Stelle.
»Das geht schon. Bis dahin ist das Filmpreisdings gelaufen. Das Kleid ist SO toll. Ich muss es einfach haben. Morgen fliege ich zurück.« Sie macht ein nachdenkliches Gesicht. »Zum Verschicken ist keine Zeit. Am besten nehme ich es gleich mit.«
»Es tut mir wirklich leid, aber wir brauchen es hier.«
Sigrid sieht mich mit ihren großen Rehaugen an. »Das verstehe ich doch. In ein paar Tagen habt ihr es zurück, versprochen. Eine Woche, höchstens. Ehrenwort. Sagt man das nicht so? Und in der Zwischenzeit trage ich das Kleid im Fernsehen, und ihr bekommt jede Menge Publicity. Stell dir mal vor, was das für deine kleine Freundin bedeutet. Sie wird dir ewig dankbar sein.«
Ich weiß nicht genau, was dann passiert. Jenny scheint sich in Luft aufgelöst zu haben. Sigrid redet immer weiter, und ich entschuldige mich und sage Nein, und sie zieht das Kleid aus und ihr Kaschmirzeug wieder an, und das Nächste, was ich mitkriege, ist, dass sie den Schwan in eine Tüte schiebt, und draußen wartet das Taxi, das sie ins Hotel zurückbringt, und wir stehen vor dem Atelier und winken ihr hinterher.
Erst als das Taxi losgefahren ist, wache ich aus meiner Ohnmacht auf.
»Warum hast du es ihr nicht abgenommen?«, fragt Jenny.
Es stellt sich raus, dass Jenny im entscheidenden Moment auf dem Klo war. Jetzt steht sie neben mir und wir sehen dem Taxi hinterher.
»Warum hast du es ihr nicht abgenommen?«
»Ich weiß nicht. Ich war wie hypnotisiert. Irgendwie hat sie das drauf. Außerdem habe ich gedacht, du hättest es ihr gegeben. Das hast du doch, oder?«
»Scheint so«, gebe ich zu. »Sie hat versprochen, es rechtzeitig zurückzubringen.«
»Wann will sie es denn genau anziehen?«
»Bei diesem Filmpreisdings.«
»Bei was für einem Filmpreisdings?«
Ich sehe Jenny an, und Panik steigt in mir auf.
»Ich weiß nicht. Irgendein Filmpreisdings. Ist da nicht irgendwo eine große Preisverleihung in den nächsten Tagen?«
Jenny zuckt die Schultern. Die Zeit, in der sie sich mit Filmpreisen beschäftigt hat, ist vorbei.
»Nur die Oscars, soweit ich weiß. Aber die sind erst in zwei Wochen. Außerdem weiß Sigrid schon, was sie anzieht. Sie hat es mir erzählt. Ziemlich ausführlich sogar. Eins der drei Vs.«
Ich schneide ihr das Wort ab.
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