Modemädchen Bd. 1 - Wie Zuckerwatte mit Silberfäden

ihrer T-Shirts an. Doch sie schafft es, sich plötzlich an etwas zu erinnern und hastig das Thema zu wechseln.
    »Übrigens, sie wollen nicht in der ersten Reihe sitzen. Es soll zwar eine Überraschung werden, aber sie wollen nicht, dass Krähe einen Herzinfarkt bekommt. Sie würden lieber irgendwo im Hintergrund sein.«
    Wenigstens etwas. Denn wenn das der Fall ist, sind sie die Einzigen in London, die das wollen.

  
    Krähe ist vielleicht keine Kandidatin für die Klatschspalten, aber dafür taucht sie in sämtlichen Modespalten auf. Die Presse teilt sich auf in diejenigen, die Krähe für den nächsten Galliano halten, und diejenigen, die denken, sie wäre ein dahergelaufener Teenager mit guten Beziehungen, der zwangsläufig auf die Nase fällt, sobald die Kollektion als Katastrophe enttarnt ist. Aus diesen Gründen wollen beide Gruppen unbedingt Tickets für die Modenschau haben. Ständig bekomme ich Anrufe und E-Mails von Leuten, die nur »sichergehen« wollen, dass sie auf der Liste stehen. Ich bringe es nicht übers Herz, den meisten von ihnen zu sagen, dass sie keine Chance haben.
    Weniger als sechs Wochen vor der Modenschau beginnt in Krähes Atelier in Battersea das »Mood Board« Formen anzunehmen: Auf großen Kartons haben wir Ideen und Stimmungen für die Show zusammengestellt. Wir haben entschieden, dass die Models goldenen Lidschatten und Gold- und Silberpuder aufden Wangen tragen werden. Als Frisur stellen wir uns weiche, romantische Locken vor. Skye hat jemand gefunden, der den Tiara-artigen Kopfputz herstellen kann, den Krähe will. Wir haben sogar schon die Strumpfhosen ausgesucht.
    Alle Musterstücke aus Baumwolle sind fertig, und einige der richtigen Kleider werden bereits zusammengesetzt. Krähe hat die Einladungen entworfen. Den Hintergrund beschriftet der Kunstkurs der zehnten Klasse ihrer Schule mit dem Motto: »Weniger Mode – mehr Menschlichkeit«. Ich kann nur hoffen, dass die Fashionistas, die zur Modenschau kommen, die Ironie verstehen und nicht beleidigt sind, aber jetzt ist es sowieso zu spät.
    Das Atelier sieht wunderschön aus. Es ist zur Geschichte der zwölf tanzenden Prinzessinnen geworden – überall Seidenballen in leuchtenden Farben, fransige Spitze, versprengte Strasssteine und müde Helfer. Und gleichzeitig herrscht ein völliges Chaos. Es gibt noch so viel zu erledigen, und wir müssen es zwischen Mathe-, Englisch- und Französischstunden schieben, genau wie immer.
    In der Mitte steht das Paradestück . Es ist der Showstopper – das Kleid, mit dem Krähe die ganze Modenschau krönt. Bei vielen Designern ist der Höhepunkt das Hochzeitskleid, aber da Krähes Motiv tanzende Prinzessinnen sind, ist es bei ihr einfach ein noch vollkommeneres Partykleid für das vollkommenste Mädchen.
    Anders als der Rest der Kollektion, der in leuchtenden Farben funkelt, ist dieses Kleid silbern. Es hat ein rückenfreies Satinoberteil und einen langen Wasserfallrock aus Dutzenden von Blütenblättern aus silberner, mit Strass bestickter Spitze. Die Spitze ist Skyes jüngstes Textildesign, mit dem sie Krähe hatexperimentieren lassen. Sie ist noch zarter als Zuckerwatte und erinnert an Blattskelette, die man an einem frostigen Morgen findet. Das Material wirkt unglaublich zerbrechlich, aber Krähe hat beschlossen, es durch die Mangel zu drehen und die Ränder aller Blütenblätter auszufransen. Für jedes Segment gehen Stunden an Arbeit drauf, bis Form und Position entschieden sind und es im perfekten Maß ausgefranst ist.
    Die Wirkung ist weniger Ballerina-niedlich als die meisten ihrer anderen Sachen. Das Kleid ist kantiger und aufregender und gefährlicher. Ich brauche eine Weile, bis ich dahinterkomme, was in ihrem dreizehnjährigen Kopf vorgeht, dass solche Ideen dabei herauskommen können. Aber dann dämmert es mir: Es ist wie ein Crashkurs in der Geschichte der Mode. Ich erkenne Zitate von Vionnet, Zitate von Saint Laurent, Zitate von Westwood, Zitate von Galliano und Ideen, die ganz und gar von Krähe sind.
    Irgendwann sieht sie meinen Blick.
    »Ich nenne es den Schwan«, sagt sie. »Zuerst sollte es ein Entwurf für Schwanensee werden. Irgendwann würde ich gerne Kostüme für das Ballett entwerfen.«
    Klar. Inzwischen überrascht mich bei Krähe überhaupt nichts mehr. Und so wie ich sie kenne, schafft sie das auch.

  
    Der Januar rauscht vorbei und der Februar kommt. Mir wird richtig schlecht, als Mum die Seite des Küchenkalenders umblättert. Februar ist der Monat der