Modemädchen Bd. 3 - Wie Sahnewolken mit Blütentaft
Lineal-Gespräch noch ein paarmal zu mir umgedreht, aber das zählt wohl kaum als Neuigkeit. Dann endlich kommt Edie und rettet uns.
»Ich habe gelesen und die Haltestelle verpasst. Tut mir leid«, sagt sie atemlos. »Musste zurückrennen … Also, hallo, ihr! Worum geht’s, Jenny?«
»Also«, sagt Jenny, indem sie tief Luft holt und von einem Ohr zum anderen grinst. »Hört euch das an. Wir haben ein neues Theater. Die Besitzer freuen sich riesig auf die Show. Sie haben gestern fest zugesagt. Es geht alles so schnell, dass es fast unheimlich ist. Im Sommer haben wir Premiere am Broadway. Ich. Gehe. Nach. New York!«
Eine verblüffte Stille entsteht. Jenny grinst weiter.
»Donnerwetter!«, sagt Krähe, die als Erste die Sprache wiedergefunden hat.
»Wirklich?«, frage ich.
Oje. Es sieht so aus, als wären in sechs Monaten alle meine Freundinnen in Amerika, nur ich bleibe in London zurück und schenke irgendwo heiße Getränke aus. Was ist hier los? Ich fange zu zittern an und mir wird übel.
»Ja«, sagt Jenny und rutscht aufgeregt auf ihrem Stuhl herum. »Nicht Off-Broadway. Sondern auf dem richtigen Broadway. Na ja, nicht ganz auf dem Broadway, sondern auf der 43. Straße, aber das ist so gut wie die 42. Straße, also für ein Musical noch viel besser als der Broadway, wegen der Tradition, versteht ihr? Heutzutage kommt es so gut wie nie vor, dass ein neues Musical so schnell in einem renommierten Theater landet. Aber die Leute lieben uns. Und wir kriegen noch größere Kulissen und noch tollere Kostüme …«
»Tollere Kostüme?«, unterbricht Krähe. »Interessant. Ich wollte schon immer Kostüme fürs Theater …«
Aber Jenny und ich hören nicht zu. Wir sehen Edie an, die noch gar nichts gesagt hat.
»Und?«, fragt Jenny.
»Ich fasse es nicht«, flüstert Edie. »Du bist doch gerade erst zurückgekommen.«
»Ich weiß!«, sagt Jenny fröhlich. »Es werden noch ein paar Änderungen an der Show vorgenommen, aber das ist ganz normal, und …«
Sie klingt wie ein alter Musical-Hase, und sie genießt jede Sekunde davon.
Im Gegensatz zu Edie. Ihrem Blick nach zu urteilen, war »Ich fasse es nicht« nicht positiv gemeint.
»Alles in Ordnung?«, frage ich.
Sie sitzt stocksteif da und starrt Jenny an.
»Das willst du wirklich tun? Nach New York gehen? Im Sommer? Wahrscheinlich für mehrere Monate?«
»Nein«, sagt Jenny. Sie verschränkt die Arme, und auf ihren Wangen tauchen zwei rote Flecken auf, die mich immer ein bisschen nervös machen. »Nicht im Sommer. In zwei Wochen. Ich kann bei Jackson wohnen. Ich brauche noch Tanzstunden, und er kennt ein paar supertolle Leute, mit denen ich arbeiten kann.«
»Höchst talentierte Künstler, nehme ich an«, bemerke ich. Die anderen ignorieren mich.
»Kann sein, dass ich ein Jahr weg bin«, erklärt Jenny.
Sie starrt Edie trotzig an. Edie starrt wütend zurück.
»Ach, deswegen nimmt eure Nachbarin Stella«, sagt Krähe.
Edie macht ein grimmiges Gesicht. »Es geht nicht um Stella, Krähe. Es geht um Gloria. Es geht um die Tatsache, dass Jennys Mutter seit letztem Sommer allein lebt, obwohl sie schwer krank ist. Und ihre einzige Tochter zieht für ein Jahr nach New York. Ein ganzes Jahr. Nur damit sie in einer Show auftreten kann.«
Dabei durchbohrt sie Jenny mit Blicken. Ich an Jennys Stelle hätte mir schon längst die Tom-Ford-Brille aufgesetzt, aber Jenny ist tapferer als ich. Sie starrt einfach zurück.
»Das ist etwas, was du nicht verstehst, Edie«, sagt sie ganz ruhig. »Du hast meine Mutter seit letztem Sommer besucht und dich um sie gekümmert. Das ist wahnsinnig lieb von dir. Aber ich mache das schon, seit ich drei bin.«
Ich schnappe nach Luft. »Seit du drei bist?«
»Damals fing das mit den Depressionen an. Sie gibt meinem Vater die Schuld, weil er sie hat sitzen lassen, aber ich bin mir nicht so sicher. Vielleicht hätte sie die Depressionen sowieso bekommen. Jedenfalls wusste ich mein Leben lang morgens beim Aufstehen nicht, ob mich beim Frühstück eine fröhliche, lustige Mum erwartet, die Kekse backt und sich Spiele ausdenkt, oder ob sie still in der Ecke sitzt und es nicht mal schafft, mich zur Schule zu bringen.«
»Jen!«, sage ich entsetzt. »Das ist ja furchtbar! Das habe ich nicht gewusst. Ich kenne dich schon so lange, und du hast mir nie ein Wort davon erzählt.«
Jenny reißt den Blick von Edie los und sieht mich an. Sie zuckt die Schultern.
»Ich weiß auch nicht … ich habe daran gedacht. Aber in der Schule
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