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Moderne Piraten

Titel: Moderne Piraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Dominik
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Während er die Blätter durch die Finger gleiten ließ, begann seine Einbildungskraft zu arbeiten und malte ihm die dunkelsten Möglichkeiten aus. Waren vielleicht in seiner Abwesenheit Mitglieder der Bande in das Haus eingedrungen? Hatten sie den Jungen überfallen und weggeschleppt? Denkbar war das immerhin. Die alte, halbtaube Wirtschafterin, die den lieben langen Tag über in ihrer Küche herumhantierte, war gewiß kein hinreichender Schutz. In diesem Augenblick bedauerte es Rübesam, daß er keinen scharfen Hund in seinem Haushalt hatte.
    Aber wenn sie den Jungen weggeschleppt hatten, warum hatten sie ihm dann vorher seine Kleider ausgezogen? Er sprang auf und lief – er wußte nicht, zum wievielten Male schon – in Rudis Schlafzimmer. Da lag der Anzug von heute früh, in Unordnung und, wie es schien, in Eile auf das Bett geworfen. Er öffnete den Kleiderschrank und fing an, die Garderobe noch einmal nachzuzählen.
    Ein Geräusch ließ ihn seine Beschäftigung unterbrechen. Er horchte auf. Unten wurde die Haustür geschlossen. Wer konnte das sein? Außer ihm besaß nur die Wirtschafterin einen Schlüssel, aber die hatte er ja eben noch in der Küche poltern hören. Ein dritter hing an dem Schlüsselbrett neben dem Büfett im Eßzimmer. Ja, hing er noch da? Darauf hatte er vorhin gar nicht geachtet.
    Er eilte die Treppe hinab, um sich davon zu überzeugen. Auf dem letzten Absatz stutzte er und hielt plötzlich inne, starrte wie versteinert auf den Flur. Wie war’s möglich, daß ein wildfremder Mensch sich in sein Haus schloß, gemütlich die Treppe herauf kam und ganz so tat, als ob er hier daheim wäre?
    Jetzt stand der Fremde vor ihm. Der Kleidung nach schien es irgendein Forstmann zu sein. Ein dunkelblonder Vollbart bedeckte Kinn und Wangen. Zusammen mit der großen Hornbrille gab er dem Gesicht einen professoralen Anstrich, der zu der Försterkleidung nicht recht passen wollte. Unwillkürlich mußte Rübesam einen Augenblick an seinen alten Mathematikprofessor aus der Obersekunda denken. Aber nein, sie hatten doch vor kurzem einen Feldmesser im Werk gehabt, der fast genau so aussah. War es am Ende der? Doch zum Kuckuck, wie kam der zu seinem Schlüssel und in seine Wohnung? Er raffte sich auf und schrie den Fremdling an: »Herr, was wollen Sie hier? Wer sind Sie überhaupt?«
    Auch der Fremde war beim Anblick Rübesams stehen geblieben und schien fast noch erschrockener als dieser zu sein. »Ach bitte, entschuldigen Sie, Herr Rübesam! Ich wußte nicht, daß Sie schon so früh zum Essen kommen würden.«
    Der Chemiker sperrte Mund und Nase auf. Für kurze Zeit erinnerte er an einen Karpfen, der auf dem Trockenen nach Luft schnappt. »Rudi! Junge! Bengel, du bist es?«
    Trotz allen Anstrengungen gelang es ihm nicht, ernst zu bleiben. Er mußte lachen, lachte, daß es ihn schüttelte, daß er sich schließlich am Geländer festhalten mußte, um nicht die Treppe hinunterzufallen. Erst nach Minuten konnte er wieder einigermaßen sprechen: »Rudi! Menschenskind! Bist ja doch aus dem Hause gewesen, trotzdem ich dir’s verboten hatte! Jungchen, darüber werden wir noch einen ernsten Ton zusammen reden! – Aber gut ist die Maske.« Er mußte wieder lachen. »Erkannt wird dich darin keiner haben. Du hast eine fabelhafte Ähnlichkeit mit unserm verflossenen Feldmesser. Nun mal raus mit der Sprache, wo du dich rumgetrieben hast! Doch halt! Erst muß ich die Wirtschafterin rufen, daß sie die Suppe noch einmal aufwärmt.«
    »Aber ich kann ja selbst hingehen, Herr Rübesam.«
    »Nein, mein Junge. Damit die Alte einen Mordsschreck kriegt und mir das Geschirr zerschmeißt! Das geht nicht.«
    Die Alte kam herauf, warf einen erstaunten Blick auf den fremden Herrn, mit dem Rübesam am Fenster saß, und verschwand mit der Suppenschüssel.
    »So, Junge, jetzt beichte! Was hast du da wieder ausgefressen?«
    »Ach, Herr Rübesam, Sie dürfen mir nicht böse sein! Die Sonne schien so schön, da hielt ich’s mit dem Buch nicht länger aus, und da ging ich an Ihren Schrank.«
    »Aha, mein Sohn! Darum kam mir doch der Anzug so bekannt vor. Man hat in meinen Schränken nachgeforscht und allerhand gefunden. Daher diese fabelhafte Verwandlung. Junge, nimm doch bloß mal die Brille ab! Man denkt ja wirklich, man hat es mit einem Fremden zu tun. – So, jetzt kann man dich zur Not doch wenigstens wiedererkennen. – Man hat also eine kleine Maskerade gemacht, und dann? Was dann?«
    »Ja, Herr Rübesam, als ich mich dann im Spiegel

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