Modesty Blaise 01: Die tödliche Lady
neben dem Bett läutete, und Nicole schob sich über Willie hinweg, um nach dem Hörer zu greifen, während sie auf seinem Bauch lag. Nachdenklich ließ er zwei Finger ihr Rückgrat entlangspazieren.
«Ja?» sagte sie in den Hörer. «Ah! Modesty?» Dann verwundert: «Aber hier spricht doch –» Sie wurde unterbrochen und hörte mit einer kleinen Falte auf der Stirn zu. «Ja, aber – ja, er ist bei mir. Wollen Sie mit ihm sprechen?» Eine Pause. «Schön, Ich es ihm werde sofort sagen.» Sie nahm den Hörer vom Ohr, starrte ihn an, legte dann in die Gabel zurück und sah Willie an.
«Es war Modesty», sagte sie. «Aber so seltsam. Sie mich hat nicht zu Wort kommen gelassen, wirklich. Sie hat gesagt, ich muß dir ausrichten, daß du sollst sofort zurückkommen. Es ist dringend. Aber Willie, sie hat gesagt nicht meinen richtigen Namen … sie hat mich die ganze Zeit genannt Jacqueline.»
Willies Hand hörte mit ihrem Spaziergang auf Nicoles Rückgrat auf. «Jacqueline», wiederholte er leise, aber seine Stimme klang nicht fragend. «Hopp, steig herunter, Kleines.» Er gab ihr einen Klaps aufs Gesäß.
«Ich muß mich in Bewegung setzen.»
Sie kletterte aus dem Bett und hob ihren Morgenmantel vom Boden auf. Willie begann sich anzukleiden. «Was Pacco betrifft», sagte er, «möchte ich alles erfahren, was er über einen Mann namens Gabriel und über einen großen Diamantentransport weiß. Verstanden?»
«Ja, Willie. Gabriel und Diamanten. Ich werde es mir merken.» Sie runzelte angestrengt die Stirn, ging zum Fenster und zog an der Plastikjalousie, um mehr Licht hereinzulassen.
«Aber sei nicht zu eindringlich», sagte Willie, während er sich die Schuhe anzog. «Ich will nicht, daß Pacco merkt –»
«Willie, komm her!» Sie schob die Lamellen der Jalousie auseinander und lugte hinaus. Willie stellte sich neben sie, beugte sich vor und schaute durch den schmalen Spalt. Die Wohnung lag in einem Eckhaus, und die Seitengasse führte um die Hinterseite des Hauses. In dieser Gasse stand eine rote Vespa.
«Ich glaube, man ist gegangen dir nach, Willie!» Nicoles Stimme zitterte ein bißchen. «Dieser Roller. Er gehört einem von den Leuten Paccos.»
«Welchem?»
«Chaldier. Er ist aus Algerien und ist gekommen erst nach Modestys Zeit zu Pacco.»
«Du meinst, daß er mir gefolgt ist? Oder beobachtet er dich?»
«Ach nein, nicht mich. Pacco liegt nicht so viel an mir. Ich habe Angst um dich, Willie. Ich weiß, daß Pacco wird tun böse Dinge.»
«Ängstige dich nicht, Kleines.» Er legte ihr den Arm um die Schultern und drückte sie tröstend an sich.
«Geh und schau vorne hinaus. Sieh zu, ob du den Kerl entdecken kannst.»
Sie lief barfuß davon. Willie hob seine Jacke auf. Es war eine leichte Windjacke mit einem langen Reißverschluß. An der linken vorderen Innenseite war eine Doppelscheide aus dünnem, aber festem Leder befestigt, in der seine zwei Messer steckten. Er trug die Jacke ins Badezimmer und wusch sich Gesicht und Hände.
Als er mit einem Kamm durchs Haar fuhr, bemerkte er eine Flasche auf dem Brett hinter der Toilette und grinste. Die Flasche enthielt Salzsäure.
Nicole tauchte in der Badezimmertür auf. «Er ist da, Willie», hauchte sie mit großen Augen. «Vor dem Café auf der anderen Straßenseite.»
Willie ließ die Flasche achtsam in die Jackentasche gleiten, nahm Nicoles Arm und ging ins Wohnzimmer.
In vorsichtiger Entfernung vom Fenster konnte er den Gehsteig gegenüber sehen, auf dem einige Tischchen vor einem Café standen. Auf dem einen saß ein kleiner Mann mit einem schmalen, dunklen Gesicht. Er trug eine enge beigefarbene Hose und eine dunkelgrüne Leinenjacke. Das dichte Haar war lang und sorgfältig frisiert. «Den werde ich für eine Weile aus dem Verkehr ziehen», sagte Willie. «Bist du immer noch bereit, Pacco heute abend zum Reden zu bringen, Kleines?»
«Natürlich, Willie.» Sie zögerte. «Aber nachher ich werde, glaube ich, weggehen. Es ist nicht sehr nett bei Pacco, manchmal. Ich werde gehen nach Paris. Oder vielleicht nach London.» Sie berührte seinen Arm.
«Glaubst du, daß ich werde bekommen in London Arbeit?»
«Vermute, ich könnte dich in Atem halten.» Die frivole Andeutung kam ganz automatisch, und Nicole merkte, daß seine Gedanken mit anderem beschäftigt waren.
«Wann treffe ich dich, damit ich dir erzähle, was ich von Pacco finde heraus?» fragte sie.
«Bestimme du es, Kleines.»
«Ich höre sehr spät auf im
Gant Rouge
. Sei um zwei Uhr
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