Modesty Blaise 02: Die Lady bittet ins Jenseits
klarzubekommen. Ein langer roter Striemen an der Wange zeigte, wo sie der Stahlhandschuh gestreift hatte.
Lok schwang sich herum, um mit seinem Bruder Schulter an Schulter zu stehen. Gemeinsam bewegten sie sich nun geschmeidig vorwärts.
Der Kampf wurde zu einer Hetzjagd. Zweimal wurde sie an den Rand des Abgrunds getrieben und rettete sich, indem sie wie wild um sich schlug. Und stieß und schließlich durch einen raschen Purzelbaum entkam.
Fast immer griff sie tief an und ging auf die Beine des vierfüßigen Monstrums los. Auch benützte sie ihre Füße weit mehr als ihre Hände. Mit bloß zwei Händen wäre es für sie fatal gewesen, in die Reichweite von vier Händen zu kommen.
Sie keuchte, und ihr Waffenrock war aufgerissen.
Aber auch die Zwillinge waren angeschlagen. Sie hinkten beide ein wenig, und Loks linkes Auge war unter einer großen, anschwellenden Beule halb geschlossen.
«Die hetzt sie ganz schön herum, dieses Luder», sagte Brett gespannt. «So lange haben sie noch nie gebraucht.
Sie ist genauso schnell wie die beiden. Aber ihre Rechte ist schneller als die Linke, ist dir das aufgefallen?»
Willie Garvin gab keine Antwort. Er stand noch immer mit lose verschränkten Armen da. Sein Waffenrock war bis zum Gürtel offen. Die Fingerspitzen seiner rechten Hand lagen auf dem Griff eines der beiden Messer in dem Lederharnisch unter dem Waffenrock.
Er warf einen flüchtigen Blick auf Karz, um die Entfernung für den Wurf abzuschätzen. Wenn die Sache schiefging, wenn Modesty starb, dann wußte Willie, was er zu tun hatte. Das erste Messer würde Karz in der Kehle treffen und ihm die Drosselader aufschlitzen. Das zweite war für Hamid bestimmt, der bloß drei Schritte von ihm entfernt stand. Hamid trug wie immer sein automatisches Gewehr. Auch andere Männer waren bewaffnet, aber mit Hamids Gewehr in seinen Händen war Willie todsicher, daß er jeden einzelnen von Karz’ Kommandeuren umlegen würde, ehe er selbst zu Boden ging.
Und damit war die Befreiungsarmee ein Rumpf ohne Kopf. Wer immer Lucille gefangenhielt, würde kein Interesse daran haben, sie zu töten, nicht einmal, um ein Exempel zu statuieren. Ob sie nun am Leben blieb oder starb; ihre Chancen waren auf jeden Fall besser als die Modestys und seine eigenen.
Willies Blicke verfolgten den Kampf. Modesty ging rückwärts den inneren Rand der Arena entlang. Angst krampfte ihm den Magen zusammen, als er das erste Anzeichen von Schwerfälligkeit bei ihrer Beinarbeit bemerkte. Er befürchtete, sie würde sich ihren großen Schachzug zu lange aufheben. Bis jetzt war ihre Strategie wirkungsvoll gewesen.
Sie hatte bei den Zwillingen Zwietracht gesät, bevor der Kampf begann; sie hatte ihre Kampfweise kennengelernt und sie gezwungen, etwas einzustecken.
Sie selbst hatte ebenfalls Schläge und Verletzungen hinnehmen müssen. Weil dies unvermeidlich war. Der Kampf mußte lange genug dauern, um die Zwillinge an ihre Kampfweise zu gewöhnen, ehe sie ihren großen Schlag anbringen konnte; andernfalls würde sie sich um den Überraschungseffekt bringen. Führte sie ihren Schachzug jedoch zu früh, dann wären die Zwillinge noch zu sehr auf der Hut und zu mißtrauisch; er konnte leicht fehlgehen. Er konnte aber auch fehlgehen, wenn er zu spät geführt wurde.
«Jetzt!» dachte Willie beschwörend. «Prinzessin, um Gottes willen, jetzt!»
Ihr wundes Gesicht zeigte keine Spur von Verzagtheit. Bloß die kalte Gleichgültigkeit war aus ihrem Blick gewichen und hatte einem flammenden, animalischen Leuchten Platz gemacht. Im Laufe vieler Jahre hatte Willie diesen Blick nur zweimal gesehen. Das war Modesty Blaise, völlig beherrscht von dem wilden, unbeugsamen Willen zu überleben; nichts anderes zählte mehr.
Erleichtert atmete er auf, als er sah, wie sie sich mit der rechten Hand an die linke Schulter ihres Waffenrocks faßte. Sie zerrte an dem sorgfältig präparierten Saum und riß mit einem Ruck den ganzen Ärmel heraus. Sie ergriff ihn an der Manschette und schwang das andere Ende vor Loks Gesicht, als ihr dieser vorsichtig näher kommen wollte.
Der Stoff berührte ihn kaum, aber instinktiv fuhr sein Kopf zurück.
Ein verwirrtes Gemurmel drang aus der Menge der zuschauenden Männer. Das war ein Lausbubenstreich.
Wieder wehte der lose Ärmel durch die Luft, und sie zog sich zurück. Chu lachte plötzlich auf. Die Zwillinge machten ein paar rasche Schritte nach vorn. Wieder schwang sie den Ärmel, hielt ihn jedoch diesmal an dem ausgefransten
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