Modesty Blaise 03: Die Lady reitet der Teufel
Willie Garvin seine Hand im Spiel gehabt haben mußte; er konnte kaum mehr als 50 oder 60 Kilometer von diesem Haus entfernt gewesen sein, denn weiter konnten Garcías Delphine solch einen Behälter nicht schleppen.
In Wirklichkeit war Willie Garvin viel näher. Jener sandige Fleck war sorgfältig geglättet worden, und in seiner Oberfläche zeigten sich einige Schnörkel, als hätte jemand mit dem Finger darauf gespielt. Aber diese Schnörkel waren arabische Worte, und Modesty wußte, daß Willie Garvin sie tags zuvor – also einen Tag nach der Übergabe – irgendwie von irgendwoher beobachtet und diese Stelle gewählt hatte, um ihr seine Botschaft zu hinterlassen.
Seit gestern abend hatte Modesty auf ein Zeichen von ihm gewartet. Jetzt war es da. Sie wischte mit dem Fuß die schnörkelige Schrift im Sand aus und gab, als wäre es eine zufällige Geste, das Empfangssignal mit dem rechten Arm, da sie annahm, von Willie beobachtet zu werden – vielleicht von einem der felsigen Ufer der Bucht aus.
Sie kniete nieder und zog aus ihrem Gewandsaum die zusammengefaltete Zigarettenschachtel hervor, auf welche sie in der Nacht, während Luzifer schlief, ihre Nachricht für Willie geschrieben hatte. Der MoroPosten am Ende des Strandes sah Luzifers Kopfsprung vom Floß zu. Modesty hielt Ausschau nach dem roten Stein, von dem in der Sand-Inschrift die Rede gewesen war. Er lag nahe am Fuß des Kliffs, halb im Sand vergraben und etwa so groß wie ein Ball. Sie trat hinzu, rollte ihn zur Seite, legte die Zigarettenpackung darunter und schob den Stein wieder an seinen alten Platz.
Dann richtete sie sich auf und lief schnell den Strand hinunter zum Wasser.
Abermals hatte die Nacht purpurnes Schwarz über die Bucht gebreitet.
Langsam kam Willie Garvin auf die Beine. Er hatte zwei Stunden gebraucht, um die eine Meile zurückzulegen, die sein Ziel, jenen Platz hinter dem Haus, von der Landestelle trennte, wo er vor mehr als 40 Stunden sein Dingi versteckt hatte.
Der nächtliche Weg war anstrengend gewesen. Willie hatte sich zuerst durch den Dschungel hindurcharbeiten und dann, bevor er aus der Deckung trat, lange warten müssen, um das Postensystem der Moros kennenzulernen. In der letzten Stunde war er nur mehr zollweise und auf dem Bauch über das offene Land vorangekommen, einzig im Schutz einiger Grasbüschel.
Nun stand er in dem Winkel, der vom südlichen Flügel des Hauses und dem auf den steilen grauen Berg zuführenden Stamm des T gebildet wurde. Willie hatte seine beiden Messer in dem leichten Lederhalfter unter dem schwarzen Hemd stecken und trug außerdem eine flache Erste-Hilfe-Kassette in der großen Schenkeltasche seiner Hose. Modestys Nachricht, um Mitternacht von ihm unter dem Stein am Strand hervorgeholt, hatte ihn aufgefordert, zwar wenig Gepäck, aber jede verfügbare Sanitätsausrüstung mitzubringen.
Nach einigem Nachdenken hatte er ein Halfter mit einer 44er Magnum für Modesty umgeschnallt, jedoch den Seesack mit der restlichen Kampfausrüstung in einem Versteck am Rand des Dschungels zurückgelassen, dort, wo der Boden steinig und der Baumbestand lichter wurde.
Es war jetzt drei Uhr morgens.
Willies Hand tastete sich über die Mauerecke weiter und fand dort ein schwarzes Nylonseil vor, das in kurzen Abständen Knoten aufwies. Er grinste mit geschlossenen Lippen und begann sich dann an der Mauer bis zum vergitterten Fenster hinaufzuziehen.
Als er den Kopf über das Fensterbrett hob, sah er ihr Gesicht durch die Stäbe schimmern. Die Laden und die Fensterflügel dahinter waren nach innen geöffnet. Modesty griff durch das Gitter, dirigierte Willies rechte Hand an das obere Ende einer Eckstange und begann zu schieben. Die Stange gab ein wenig nach. Willie hackte sich mit dem linken Arm in die anderen Stangen ein und zog mit dem rechten. Sobald die Stange an ihrem abgefeilten Ende etwa zehn Zentimeter nach vorn nachgegeben hatte, drückte Willie sie zur Seite.
Er brauchte eine ganze Minute, um seinen Körper durch die kaum 40 Zentimeter breite Öffnung zu zwängen. Modesty hielt ihn fest, während er seine Hüften nachzog.
Dann stand er im Badezimmer ihr gegenüber. Sie trug einen seidenen Männerschlafrock, der ihr zu groß war, und hielt Willies Hände fest in den ihren. Er konnte ihr Gesicht im Dunkeln nicht deutlich sehen.
Dann ließ sie seine Hände los und schloß die Fensterladen. Als sie das Licht einschaltete, blickte Willie sie fragend an, aber sie lächelte beruhigend. «Alles in Ordnung,
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