Modesty Blaise 03: Die Lady reitet der Teufel
bevor es hell ist. Wenn Seff oder sonst irgendeiner noch am Leben ist, so könnten sie uns jetzt auflauern. Deshalb wollen wir lieber hierbleiben, bis wir sehen können, was los ist. Modesty macht es sicher genauso.»
«Woher wissen Sie das so genau?» fragte Collier mit schwerer Zunge. Er war jetzt fast schon zu müde zum Reden.
«Weil sie uns jetzt auflauern könnten», wiederholte Willie beharrlich, und dann fügte er ein wenig ungeduldig hinzu: «Verdammich, wir werden der Gefahr doch nicht nachlaufen.»
«Nein? Wirklich nicht?» Collier begann zu lachen und erkannte mit Schrecken, daß er nicht mehr aufhören konnte und daß sein Gelächter in Weinen umschlug.
«Langsam, langsam, Kumpel», sagte Willie freundlich und beugte sich herüber. Und dann erhielt Collier die zweite Ohrfeige in dieser Nacht. Sie setzte seinem hysterischen Anfall ein Ende und beraubte seinen Körper der letzten Kräfte. Er lehnte sich gegen den Felsen zurück, sein Kopf sank auf die Brust, und die Augen fielen ihm zu.
Sofort begann Willie, ihn zu schütteln. Stammelnd zwang sich Collier, die Augen wieder aufzumachen, und sah, daß innerhalb der letzten zwei Sekunden die Sonne über dem Berg aufgegangen war und die Bucht nun im Morgenlicht lag. Von den Moro-Booten war nichts mehr zu sehen. Willie erhob sich und spähte hinüber zur Krümmung des Kliffs.
«Da ist sie ja», sagte er vergnügt.
Collier faßte sich mit beiden Händen an den Kopf, um jede unnötige Bewegung zu vermeiden, und stand taumelnd auf. «Hab ich denn eine Axt in den Schädel gekriegt?» fragte er. «Vielleicht hab ich es in der allgemeinen Verwirrung nicht bemerkt, aber ich bin sicher …»
Er verstummte, sobald er Modesty und Luzifer in etwa 400 Meter Entfernung jenseits der Bucht bemerkt hatte. Die beiden standen auf dem weißen Küstenstreifen am Ende des Felsenpfades. Collier fühlte sich unendlich erleichtert.
«Falls Sie die beiden jetzt anrufen oder irgendeinen Lärm machen wollen, Willie, dann erschießen Sie mich lieber vorher. Je schneller, desto besser.» Willie grinste, trat ein wenig vor und schwang seinen Arm in weitem Bogen. Gleich darauf gab Modesty das Zeichen zurück. Collier begriff, daß sie ein Signal gab. Nicht in der üblichen Signalsprache, sondern nach irgendeinem Geheimcode. Auf diese Entfernung wirkte ihre Bewegung überdeutlich, aber Collier dachte an den Augenblick, als Seff den Zweikampf befohlen hatte, und es fielen ihm die kleinen, nervösen Bewegungen ein, mit denen Modesty sich ans Ohr gegriffen und den Kopf gesenkt, gehoben oder gedreht hatte.
Jetzt erst wurde ihm klar, wie damals die Verständigung mit Willie zustande gekommen war.
«Seff ist tot», sagte Willie und beschattete die Augen.
«Auch Regina und Jack Wish.»
«Da war sie aber tüchtig.»
«Von Bowker war nichts zu sehen, aber wir sollen uns keine Sorgen machen.»
«Da hat sie recht. Wenn Bowker noch lebt, wird er sich schon nicht als großer Kämpfer aufspielen. Er wird verhandeln wollen.»
Willie hob die Arme und gab das Verstanden-Zeichen, dann schritt er den Abhang hinunter.
Collier folgte ihm. Unten am Landungssteg, auf dem Weg zum Uferstreifen, blickte er zurück. Etwa eine halbe Meile von der Einfahrt zur Bucht kam ein weißes Frachtschiff in Sicht, und schon wurden zwei Boote zu Wasser gelassen.
25
«Das ist Dr. Marston, Ihr neuer Adjutant», sagte Collier.
«Er ist mit dem Boot gekommen, um Sie aufs Schiff zu bringen, Luzifer.»
Luzifer nickte geistesabwesend. Er war jetzt nahezu willenlos. Eine zweite Scopolamin-Injektion hatte das bewirkt.
«Sie haben noch Äonen schöpferischer Arbeit vor sich», fuhr Collier fort, bemüht, seinem erschöpften Hirn noch einen Rest von Logik abzugewinnen. «Nach diesem schrecklichen Ringen muß die gesamte Hölle wieder instand gesetzt werden, besser und stärker als je zuvor. Auch Ihre ergebenen Diener werden deshalb viel zu tun bekommen, überall auf der Welt – in den Oberen Regionen.»
«Das ist richtig», sagte Luzifer bedeutungsvoll. «Aber Modesty …»
«Da Sie ihr Unsterblichkeit verliehen und sie zu Ihrem ersten Diener gemacht haben, hat sie jetzt mehr Arbeit vor sich als jedermann sonst. Aber Sie werden sie wiedersehen, zweifellos – nach einigen Jahrhunderten.»
Luzifer nickte bedächtig. «Ich bin das Warten gewöhnt. Sagen Sie ihr, daß Luzifers Herz für sie schlägt und daß ich immer über sie wachen werde.»
Dr. Marston strich sich durchs graumelierte Haar, blickte Collier an, der
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